Parc sans Frontières! Grosse Platzbesetzung in Zürich

Am Freitag, 25. Mai 2018 haben Aktivist*innen den Platzspitz-Park im Zentrum Zürichs besetzt. Für ein Wochenende wurde ein «Parc sans Frontières» geschaffen. Die Besetzung wurde am Sonntag früh für beendet erklärt.

Webseite der Aktion: www.parcsansfrontieres.ch

La Gazette du Parc sans Frontières

Freitag, 17.30 Uhr. In Zürich macht sich sommerliche Feierabendstimmung breit. In den Gratiszeitungen und im Radio wird empfohlen, Sonnenbrillen und kurze Hosen zu tragen. Auf dem Rasen des Platzspitz-Parks flanieren Familien mit Kinderwägen, Ausländer*innen, Ausgehvolk, Touris, Punks und Yoga-Hipster. Die Polizeistreife, die soeben zwei Jugendliche kontrolliert hat, verlässt das Gelände. Plötzlich kommt Bewegung in die Menge.

Eine Bühne und grosse Musikboxen stehen mitten im Park, Leute schleppen Getränke an, diverse Transparente hängen. Eine junge Frau drückt Passant*innen einen Flyer in die Hand: «Das Gelände wurde soeben besetzt! Wir schaffen über dieses Wochenende einen Raum, wo sich Menschen ohne ständige Polizeipräsenz wohlfühlen können. Bleibt doch hier und seid Teil davon». Viele Leute bleiben, wir auch. Zwischen dem Dynamo und dem Neubau des Landesmuseums ertönt Musik, es entsteht eine Bar und zwei Menschen stellen einen Infopoint auf. Sie tragen Masken mit riesigen Nasen, Schnauz und Brille, die an Mario Fehr erinnern. Was soll dieser Event hier am Platzspitz? Was hat das mit den Zwangsmassnahmen im Asylbereich zu tun? Und was wird noch passieren?

Der «Needle Park» und die Praxis der Vertreibung

Die Wahl des Platzspitzes für einen Protest gegen Zwangsmassnahmen im Asylbereich ist nicht zufällig. Wie kaum ein anderer Ort in dieser Stadt steht der Platzspitz für ein Zürich der Repression, für eine Stadt, in der nicht alle das Recht haben, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten und zu bewegen. In den 1980er und frühen 1990er Jahren gab es auf dem Zürcher Platzspitz eine offene Drogenszene. Drogensüchtige und Dealer*innen aus ganz Europa reisten an und blieben im «Needle Park» hängen. Die dort herrschenden Zustände schockierten die Bevölkerung und der Park wurde weitgehend gemieden. Verbote erschwerten die medizinische Arbeit von freiwilligen Helfer*innen. Viele Süchtige wurden krank. Die Präsenz der Polizei führte zu chaotischen Situationen, die Stadtregierung verlor die Kontrolle. Als schliesslich medizinische Hilfe und die Abgabe von sauberen Spritzen durch Fachpersonen legalisiert wurde, fürchtete die Stadt einen Imageschaden. Sie prophezeiten, dass nun aus der ganzen Welt noch mehr Süchtige anreisen und die Stadt einnehmen würden. Unter den Augen einer schockierten Weltöffentlichkeit räumten die Behörden im Jahr 1992 mit massivem Polizeieinsatz den Platzspitz. Doch «aus den Augen aus dem Sinn» funktioniert nur selten. Die offene Drogenszene verlagerte sich flussabwärts an den Letten und in den Kreis 5 (Dokumentation dazu auf youtube). So folgte 1995 die Schliessung des Lettenareals. Die Stadtregierung musste einsehen, dass eine repressive «Säuberung» des öffentlichen Raums nicht funktionieren kann und war gezwungen, ihre Drogenpolitik zu ändern.

Neue Zwangsmassnahmen im öffentlichen Raum

Die Besetzer*innen verkünden, dass eine Pressekonferenz stattfindet. Doch was die Journalist*innen erwartet, überrascht. Anstelle von auskunftsfreudigen Besetzer*innen wird ein Countdown an die Wand des Sitzungszimmers projiziert. «Presseinformation startet in 10:14». Die Journalist*innen sind irritiert. Zur Überbrückung lesen einige das «Manifest des Parc sans Frontières», das ihnen beim Eingang in den Park in die Hand gedrückt wurde. «Über zwanzig Jahre nach der Vertreibung der offenen Drogenszene bleibt der Platz noch immer über Nacht geschlossen. Aus Angst vor «Szenebildung». Aus Angst davor, dass die Benutzung einer öffentlichen Anlage im Zentrum der Stadt durch «Randständige» das Bild einer aufgeräumten Global City stören könnte». Seit der Räumung des Platzspitzes hat sich das Feindbild verlagert. Junkies sind weniger sichtbar und bringen die Volksseele nicht mehr zum Kochen. Mit dem Konstrukt des «ausländischen Drogendealers» gelingt das jedoch ganz gut. Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung werden unter Generalverdacht gestellt und schnell mal in Gewahrsam genommen. Um Asylsuchende schneller und ohne Tatbestand, Prozess oder Urteil wegsperren zu können, schuf die rot-grüne Stadtregierung Mitte der 1990er Jahre mehr Gefängnisplätze. Das «provisorische Polizeigefängnis» auf dem Kaserneareal wurde innert kürzester Zeit mit Ausschaffungshäftlingen überbelegt. 1995 traten die «Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht» in Kraft. Seither können Ausländer*innen wegen fehlendem Aufenthaltsrecht bis zu fünfeinhalb Jahre ins Gefängnis gesperrt werden. In die gleiche repressive Richtung zielt die 2016 von Regierungsrat Mario Fehr (ja, der mit der Bierdusche) initiierte Eingrenzungspolitik des Kantons Zürich. Die Betroffenen werden zwar nicht direkt eingesperrt, dürfen aber den ihnen zugewiesenen Ort – oft kleine, ländliche Gemeinden – nicht verlassen. So fristen sie ein isoliertes Dasein mit nur beschränkten sozialen Kontakten und haben keinen Zugang zu Freizeitangeboten oder unabhängigen Rechtsberatungsstellen.

Fünfeinhalb Jahre Gefängnis ohne Straftat

Der Countdown bis zur Pressekonferenz ist abgelaufen. Es folgt eine Drohnenaufnahme des Platzspitzes, dazu der Titel «Fünfeinhalb Jahre Gefängnis ohne Straftat». Eine professionell klingende Stimme erläutert das heutige Haftregime, das «Menschen ohne Papiere wie Schwerverbrecher behandelt». Die Stimme rechnet vor: Drei Jahre Gefängnis, wenn man als illegalisierte Person die einem auferlegte Eingrenzung missachtet und das zugewiesene Rayon verlässt. Soll man daraufhin ausgewiesen werden, drohen weitere 18 Monate Ausschaffungshaft. Dazu kommen zwölf Monate für illegalen Aufenthalt. Das macht fünfeinhalb Jahre Gefängnis für eine Person ohne Papiere – ohne je eine Straftat begangen zu haben!

Die Besetzungsaktion «Parc sans Frontières» ist nicht bloss ein kultureller Event, sondern sucht eine Konfrontation mit der repressiven Politik der Zürcher Stadtregierung. Den Ursprung dieser repressiven Asylpolitik sehen die Besetzer*innen im modernen, urbanen links-grünen Zürich der 1990er Jahre – unter anderem auf dem Platzspitz. Und genau hier zeigt sich auch heute noch besonders deutlich, wie die Stadtregierung den öffentlichen Raum versteht. Nachts ist der Platzspitz-Park geschlossen. Tagsüber fahren die Streifenfahrzeuge durch die schmiedeeisernen Tore und ziehen ihre Runden. Beamte in Zivil und in Uniform kontrollieren gezielt diejenigen Leute, die sie als am Rand der Gesellschaft lebend einordnen. Im «öffentlichen» Park soll sich also nur eine auserwählte Klientel wohl fühlen. Aber wenigstens während diesem Wochenende soll das alles anders werden.

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