Die Bevölkerung des mexikanischen Bundesstaats Puebla wehrt sich gegen Industrialisierungsprojekte, die Gewässer und bäuerliches Land bedrohen. Ein Besuch vor Ort zeigt: Der Kampf «für Land und Freiheit» ist breit vernetzt. Er basiert auf neozapatistischen Organisierungsprinzipien und versteht sich als Fortführung der jahrhundertealten widerständigen Tradition.
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Bei unserem Besuch in der Gemeinde Santa María Zacatepec im mexikanischen Bundesstaat Puebla riechen wir den beissenden Geruch brennender Pneus schon von weitem. Eine erste Barrikade lässt uns nach kurzer Absprache passieren. Nach zweihundert Metern kommen wir beim «Plantón», dem Protestlager im Dorf an. Der mit Planen überspannte Platz wird von der Dorfgemeinschaft seit Ende November 2019 besetzt. Wir werden herzlich empfangen, das mitgebrachte Essen wird in der provisorisch installierten Küche aufbereitet.
In der kleinen indigenen Gemeinde versuchen die Bewohner*innen den Anschluss giftiger Abwässer an die Kanalisation zu verhindern, die auf diesem Weg in den Metlapanapa-Fluss gelangen würden. Immer wieder kommt es deswegen zu Verhaftungen und Einschüchterungsversuchen. Miguel López Vega, ein in der Region bekannter Aktivist, wurde im Januar 2020 festgenommen und erst wieder freigelassen, als Aktivist*innen die Hauptachse der Gemeinde lahmlegten. Im Oktober 2019 ging die Polizei mit Tränengas gegen die Bewohner*innen von Zacatepec vor. Im Februar 2019 kam es sogar zu einem Mord an einem Aktivisten: Samir Flores Soberanes, indigener Bauer und Mitstreiter von Miguel, wurde im Nachbardorf Amilcingo durch mehrere Schüsse in den Kopf ermordet.
In der achtzig Hektar umfassenden Textilindustriezone im nahegelegenen Huejotzingo sollen bis zu fünfhundert multinationale Firmen ansiedeln. So sind die beiden elektrothermischen Anlagen etwa im Besitz der spanischen Firmen Anagas, Abengoa Elecnor sowie der italienischen Firma Bonatti. Die ebenfalls in Huejotzingo tätige mexikanische Baumwollherstellerin Pecaltex zählt die Schweizer Textiltechnologiefirmen Luwa und Rieter zu ihren Geschäftspartnerinnen. Die «Textilstadt» in Huejotzingo ist Teil des «Proyecto Integral Morelos» (PIM). Dieses Projekt zur Industrialisierung der Bundesstaten Morelos, Puebla und Tlaxcla – ein Gebiet, das auch seismisch aktive Zonen einschliesst – umfasst neben den beiden elektrothermischen Anlagen auch ein Aquädukt, das täglich fünfzig Millionen Liter Wasser aus dem Fluss abzweigt sowie eine 170 Kilometer lange Gasleitung, die sechzig Gemeinden durchquert. Die erzeugte Energie wird hauptsächlich für die Textilindustrie gebraucht.
Das PIM ist Teil des nationalen Entwicklungsplanes 2007-2012, der unter der Regierung Enrique Peña Nietos und dessen Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) verabschiedet wurde. Der Plan soll Mexiko innerhalb der globalen Konkurrenz stärken, indem die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen intensiviert wird. Gleichzeitig soll das Land zu einer logistischen Drehscheibe für die Gewinnung und den Transport von Energie werden. Die heutige Regierung unter dem Präsidenten Andrés Manuel López Obrador von der linken Partei MORENA führt diese wirtschaftliche Ausrichtung seit 2018 weiter – ohne sozialen und ökologischen Bedenken Gehör zu schenken.
«Sie wollen unsere Gewässer und unser Land holen»
Der Bundesstaat Puebla liegt im Siedlungsgebiet der Nahua, der grössten indigenen Volksgruppe Mexikos. Aus diesem Gebiet gingen während der Mexikanischen Revolution entscheidende Impulse aus, auch Revolutionsheld Emiliano Zapata (1879-1919) war hier aktiv. Dessen berühmte Losung «Tierra y Libertad» geht auf den Anarchisten Ricardo Flores Magón (1873-1922) zurück, der die radikalste Revolutionsgarde dieser Zeit formierte.
Israel, ein Bauer aus dem Nachbardorf Cuanalá, beschreibt bei unserem Besuch, wie Gemeindebewohner*innen von Zacatepec bereits im Jahr 2011 bemerkten, dass Firmen ohne ihre Erlaubnis Untersuchungen auf ihren Gebieten vornahmen. «Wir haben deshalb noch im selben Jahr ein erstes Vernetzungstreffen mit rund zweihundert Personen aus den Bundesstaaten Puebla, Morelos und Tlaxcala organisiert», sagt er.
Daraus entstand das regionale Widerstandskomitee FPDTA-MPT (Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra y Agua Morelos, Puebla, Tlaxcala). «Die Gruppe setzt sich aus Leuten aus verschiedenen Gemeinden zusammen, aber der Kampf fokussierte sich auf den Kampf gegen die Platzierung der Abwasser-Turbine in Zacatapec.» Sie stellten Anfragen an die staatliche Elektrizitätsfirma CFE und die Regierung. Dabei wurde klar, dass bei den teils weit auseinanderliegen Dörfern die gleichen Probleme und Kämpfe anstehen.
Die Widerstandsgeschichte ist von regem Austausch der Gemeinden mit Wissenschaftler*innen und Politiker*innen aus dem Umwelt- und Wirtschaftsdepartement, der Regierung und privaten Unternehmen geprägt. So entwickelte sich eine breite Widerstandsbewegung in der Region. Es gab Demonstrationen und Infoabende, lokale Gemeinschaftsradios, kulturelle und künstlerische Informationskampagnen über die historische Relevanz der Landwirtschaft und über die Arbeiter*innenbewegung. Zusammen mit Forschenden verschiedener Universitäten wurde mit der «Escuela Popular en Defensa de la Vida» eine pädagogische Kampagne angestossen.
In unseren Gesprächen mit den Dorfbewohner*innen auf dem besetzten Platz kommt immer wieder zur Sprache, dass der Kampf um den Metlapanapa-Fluss als Fortführung eines sozialen Kampfes angesehen wird, der bereits mit der Eroberung Mexikos durch Hérnan Cortez 1519 begann. «Unsere Gegenwehr gegen Angriffe auf unsere Ländereien stehen in der Tradition des Widerstandes gegen die Invasion der Europäer in die Gebirge Mexikos», sagt Cosme, ein Bauer aus der Gegend. «Heute erleben wir eine schlimme Situation, sie wollen sich unsere Gewässer und unsere Ländereien holen. Und wir, die das Leben verteidigen sind natürlich sensibilisiert und wollen, dass der jahrhundertelange Kampf um die Verteidigung des Bodens weitergeht».
Alejandro, der sich am Gespräch beteiligt, präzisiert: «Viele der Ländereien, welche die nationale Elektrizitätskommission für den Bau der Gasleitung benötigte, kaufte sie den Bauern zu Spottpreisen und unter Drohung oder Bestechung ab.» So seien beispielsweise auch gezielt kirchliche Autoritäten angegangen und mit Geld zu Gunsten der Projekte angeworben worden.
Breite Abstützung durch den Nationalen Indigenen Kongress
Das PIM wurde 2011 lanciert und sollte 2013 bereits fertiggestellt sein. Die komplette Inbetriebnahme steht jedoch aus. Der Widerstand der betroffenen Gemeinden vermochte die für den Betrieb des PIM notwendige Gasleitung bis heute zu verzögern. Dem Aquädukt fehlen zweihundert Meter, die Gasleitung ist sieben Jahren im Verzug. Ähnliches gilt für die «Textilstadt» in Huejotzingo, auch wenn das Areal bereits teilweise in Betrieb genommen wurde. Die nationale Elektrizitätskommission musste Änderungen am geplanten Weg der Gasleitung vornehmen, was zu weiteren Verzögerungen führte.
Der erfolgreiche Widerstand gegen die zerstörerischen Industrieprojekte des PIM ist auf die gute Vernetzung und die breite Abstützung in der Bevölkerung zu zurückzuführen. Zusätzlich zur regionalen Plattform FPDTA-MPT ist hierbei auch der Nationale Indigene Kongress (Congreso Nacional Indígena, CNI) ausschlaggebend. Die Anti-PIM-Aktivist*innen sind Mitglied dieses im Jahr 1996 von der EZLN initiierten und neozapatistisch geprägten Netzwerks.
Die Anbindung des CNI an die Bewegung wirkt sich auf die politische Ausrichtung der widerständigen indigenen Gemeinschaften in Puebla aus. In Santa María Zacatepec wurde im Januar 2020 die Gründung eines «buen gobierno», einer «guten Regierung» ausgerufen. Dabei handelt es sich um ein rotierendes Gremium, das sich gegen den «mal gobierno», die «schlechte Regierung» der MORENA-Partei stellt. Leo, der Vorsteher des lokalen «buen gobierno» sagt, dieser Schritt sei überfällig gewesen. «Wir sind die Parteien leid. Wenn wir sie wählen, wählen wir unsere eigene Zerstörung.» Es habe sich gezeigt, dass es keine Rolle spiele, welche Regierung an der Macht sei. Das Konzept der «guten Regierungen» ist ein Kernelement der neozapatistischen Programmatik, die auf Losungen wie «gehorchend anführen», «überzeugen ohne zu befehlen» fussen. Von zwanzig Dörfern der Region, die vom PIM betroffen sind, gehören zehn dem CNI an. Die Aktivist*innen betonen, dass alle widerständigen Strukturen der Region auf neozapatistischen Prinzipien basieren.
Laut Norma, einer Aktivistin, die mit der Frauengruppe des lokalen Radios jeden Freitag den besetzten Plantón betreibt, nimmt etwa die Hälfte der Dorfbevölkerung an den basisdemokratischen Versammlungen teil. Norma weist auch darauf hin, dass mit dem Kampf um das Land auch die Organisierung der Frauen im Dorf zugenommen habe. Durch die Involvierung der Frauengruppe eines Radios zur Verteidigung des Flusses seien mehr Frauen aktiv geworden.
Die Unabhängigkeit von der Regierung steht im Zentrum der widerständigen Dorfgemeinschaft. Dieser Kampf um Selbstbestimmung richtet sich explizit gegen die kapitalistische Verwertungslogik: «Auch wenn wir bereits einige Schlachten gewonnen haben, zerstört das Kapital weiterhin unsere Lebensgrundlagen», sagt Fernando, ein Aktivist auf dem Plantón. Der Vorsitzende des «buen gobierno» von Zacatepec ergänzt: «Alle Firmen, die hierher kommen sind rücksichtslose Kapitalisten. Zuerst vertreiben sie uns von unserem Land, dann klauen sie uns das Wasser und dann zwingen sie uns, für einen viel zu tiefen Lohn zu arbeiten.» Es sei eine gängige Logik, dass multinationale Firmen sich in Mexiko niederlassen, weil hier die Umwelt- und Arbeitsgesetze schwach sind.
Das lokale Umweltsekretariat erklärte im März 2020 den definitiven Baustopp für die Anlagen, bei denen geplant war, verschmutztes und schädliches Wasser aus der Textilstadt in den Rio Metlapanapa abfliessen zu lassen. Die beteiligten Firmen konnten so gezwungen werden, Alternativen für die Entsorgung ihres Abwassers zu suchen. Sich nun auszuruhen ist aber keineswegs angesagt. «Sobald sich die Pandemiesituation hier bessert, werden wir nächste Schritte in Angriff nehmen», künden die Bewohner*innen auf dem besetzten Platz in Zacatepec an.