Der Frauen*streik am 14. Juni 2019 war der Höhepunkt einer der erfolgreichsten feministischen Mobilisierungen in der Schweiz. Unzählige Allianzen wurden geschmiedet und neue Kollektive haben sich gegründet. Wir wollen von einigen Vertreter*innen wissen: Wie war diese Kampagne für euch und was ist seither geschehen?
500’000 Frauen* legten am 14. Juni 2019 die Arbeit nieder und streikten. Die Bewegung mobilisierte wie keine zuvor. Neben Kinderbetreuer*innen schoben Senior*innen ihre Rollatoren auf die Strasse und Mütter demonstrierten mit ihren Kindern neben Ärzt*innen in weissen Kitteln. Jetzt, 9 Monate nach dem Frauen*streik, stehen wir kurz vor dem internationalen Frauenkampftag, dem 8. März. Wir haben verschiedene Zürcher Kollektive, die sich während oder nach dem Frauen*streik gebildet haben, zu ihren Erfahrungen befragt. Bis zum 8. März werden wir täglich zwei Stimmen publizieren.
Teil 1: Kinderbetreuer*innen und Buchhändler*innen
Teil 2: Ärztin und Architektinnen
Feministisches Hochschulkollektiv Zürich: «Solidarität ist unsere Waffe»
«Wir sind ein Kollektiv von FLINT-Personen(1), die mit den Hochschulen in Zürich verbunden sind. Ende 2018 haben wir uns zusammengefunden, um auch an den Hochschulen Zürichs auf den feministischen Streik am 14. Juni 2019 zu mobilisieren. Wir organisierten uns vor allem wegen den patriarchalen Strukturen, die immer abgestritten werden, und weil sexuelle Belästigung an den Hochschulen Alltag ist.
Die Menschen, die im Bereich der Gastronomie und Reinigung an der Hochschulen arbeiten, sind hauptsächlich Frauen. Dabei gibt es aber eine klar hierarchische Trennung: die wenigen Männer in diesem Bereich sind die Chefs respektive in der Reinigung diejenigen, welche in den Reinigungsmaschinen herumfahren. Die Frauen arbeiten bei der Essensausgabe und putzen die Klos. Es ist unglaublich, wie krass einem das auffällt, sobald man sich darauf achtet.
Aber auch bei den Studis: Wir lesen die ganze Zeit nur Texte von irgendwelchen weissen Männern und es wird überhaupt keine Anstrengung unternommen, um das zu ändern. Während mittlerweile Studentinnen* rund 57% der Studierenden ausmachen, beträgt der Anteil an Professorinnen* nur 23%. FTIQ*(2) sind in Doktoratspositionen unter- und dafür im Tieflohnsegment der Uni übervertreten.
Während der Mobilisierung zum feministischen Streik hatten wir eigentlich den Anspruch, mit allen FLINT, die an den Hochschulen arbeiten, ins Gespräch zu kommen. Das stellte sich als äusserst schwierig heraus. Gerade die FLINT im Dienstleistungssektor (Gastronomie, Reinigung etc.) waren meistens so unter Druck, dass sie keine Zeit hatten oder sich nicht trauten, an die Treffen zu kommen. Ausserdem haben wir uns auch allzu schnell in einem akademischen Diskurs bewegt, was nicht wirklich fördernd war, um Menschen, die nicht studieren oder studiert haben, mit einzubinden.
Nach dem 14. Juni 2019 wollte uns die Unileitung noch die Reinigungskosten für die Sprühkreide aufdrücken, die bei der Uni Irchel verwendet wurde. Da haben wir kurzerhand aufgelistet, wie viel Gratisarbeit wir in die Vorbereitung des Streiks gesteckt hatten. Der Streik müsste ja auch im Interesse der Uni gewesen sein, schliesslich haben sie in ihren Dokumenten klar das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter. Also hätten wir mit den Streikvorbereitungen schon genug Arbeit für die Uni geleistet und würden die Reinigungskosten für die Sprühkreide nicht bezahlen.
Seither haben wir eine zweite Aktionswoche organisiert im Hinblick auf den 8. März 2020. Es ist wichtig, dass FLINT in allen Bereichen und überall aktiv sind. Am 8. März gehen wir gemeinsam mit FLINT auf der ganzen Welt auf die Strassen. Solidarität ist unsere Waffe und gemeinsam werden wir kämpfen, bis alle FLINT befreit sind.»
(1) FLINT = Frauen- Lesben- Inter- Non-Binary- Transpersonen
(2) FTIQ* = Frauen- Trans- Inter- Queer- *Personen
F.I.S.T.: «Uns eint der feministische Kampf»
«F.I.S.T. ist das feministische internationalistische, solidarische Treffen in Zürich. Das Treffen gibt es seit Anfang 2019. Es entstand aus dem Bedürfnis heraus, vielfältigere Stimmen, Aktions- und Organisierungsformen in den feministischen Kampf einzubringen. Migrantinnen*, geflüchtete Frauen*, Frauen und FLINT in Gefängnissen und Asylunterkünften oder auch arme Frauen* werden in unserer Gesellschaft wenig bis gar nicht gehört.
In FIST sind wir Frauen* mit verschiedenen Erfahrungen, Realitäten und unterschiedlicher Herkunft: Einige haben jahrelange Erfahrung in politischen Organisationen oder Bewegungen, manche leben seit Jahrzehnten weit weg von ihrer Familie, andere sind alleinerziehende Mütter, waren in Gefängnissen, unterstützen tagtäglich migrantische und illegalisierte Frauen*, leben in besetzten Häusern, viele erleben Rassismus. Uns eint der feministische Kampf. Denn wir alle erleben die kapitalistische und patriarchal-heteronormative Einengung und Ausbeutung. Wir treffen uns deshalb regelmässig, essen gemeinsam, organisieren Aktionen sowie Veranstaltungen und vernetzen uns mit feministischen Gruppen in der Schweiz oder mit Aktivistinnen* im Ausland. Gemeinsam überlegen wir, wie wir unsere Kräfte zusammenführen können, so dass sich viele Frauen* an der feministischen Bewegung beteiligen können.
Während des Frauen*streiks 2019 konzentrierten wir uns auf die staatliche Gewalt, die sich insbesondere auch in der Ausgestaltung der Institutionen zeigt. Wir fuhren im Autokorso zu den Frauen* im Gefängnis Dielsdorf und liessen sie mit Reden und Musik wissen, dass sie nicht vergessen werden. Später versammelten wir uns beim Bezirksgefängnis Zürich, um mit Transparenten das Gefängnis zu umspannen. Unsere Aktionen sind von einer starken Dynamik der Spontanität und des Tatendrangs geprägt und werden immer auch von Frauen* mitgetragen, die wir aus anderen Zusammenhängen oder gar nicht kennen. Der Frauen*streik 2019 gab uns viel Kraft, war für uns aber weder Anfang noch Ende. So haben wir auch am 25. November 2019, dem Tag gegen Gewalt an Frauen*, die staatliche Gewalt angeprangert. Vor dem Palace des Nations in Genf haben wir der UNO symbolisch den Prozess gemacht. Dabei hielten unter anderem Frauen* aus Chile, Hong Kong, Rojava, der Schweiz, den Philippinen, Mexiko Reden über die alltägliche (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen und FLINT, über die staatliche Verfolgung von Aktivist*innen und über Folter und Morde durch Polizeiapparate. Solange die Unterdrückung und Repression anhält, solange sind wir der Widerstand.
Jeder Tag ist Frauen*kampftag! Aber der 8. März ist insbesondere wichtig für die Vernetzung und die Stärkung der internationalistischen feministischen Bewegung. Dieses Jahr wird FIST die Performance „Ein Vergewaltiger auf deinem Weg“ an einigen Stadtzürcher Orten aufführen, die besonders krass für Ausbeutung und Unterdrückung stehen.»
Teil 1: Kinderbetreuer*innen und Buchhändler*innen
Teil 2: Ärztin und Architektinnen
Agenda zum Frauen*kampftag
Am 7. Und 8. März 2020 gibt es viele Möglichkeiten, um weiterhin Schulter an Schulter gegen das Patriarchat zu stehen.
7. März: Frauen*demo, 13:30, Hechtplatz Zürich
8. März: Aktionstag / Streiktag in Zürich
10 Uhr Care-Arbeit: Streik-Zmorge, Spielplatz Lutherwiese ZH
11 Uhr im Streikhaus ZH: Gemeinsame Stadttour mit Performance
11 Uhr Kinderwagen-Spaziergang, Spielplatz Lutherwiese ZH
12 Uhr Zmittag für FTIQ* und Kinder, feministisches Streikhaus ZH
12 Uhr Gastra Kollektiv: Gastratlon/Gastronomie-Lauf, Idaplatz ZH
13 Uhr Kafi-Treffpunkt, feministisches Streikhaus ZH
15 Uhr Gemeinsamer Moment auf dem Sechseläutenplatz ZH
Bern:
7. März: Queerfeministischer Postenlauf, 12 Uhr, Böxli Bern
Basel:
8. März: Demo: 8. März heisst weltweiter Widerstand! 17 Uhr, Theaterplatz BS
Liveticker von der Frauen*demo
Am Samstag 7.3. tickern wir von der Frauen*demo in Zürich unter #zh0703. Infos über die Demoroute, Aktionen und Polizei ab mittag auf Twitter unter #zh0703 und über Instagram @ajour_mag. Sendet uns gerne Infos oder Bilder als DM!