Die baskische Aktivistin Nekane Txapartegi kam vor drei Wochen überraschend frei. Trotzdem haben Schweizer Behörden die Folter von Nekane nie anerkannt. Das zeugt von alter Schweizer Manier. Ein Kommentar von Chloë Denoir.
Nekane ist frei! Das war wohl eine der schönsten Nachrichten der vergangenen Wochen. Nekane Txapartegi war im April 2016 in Zürich verhaftet worden und hatte die vergangenen 17 Monate im Knast gesessen, da sie die Schweizer Behörden an Spanien ausliefern wollten. Die ehemalige Gemeinderätin und Journalistin der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung war vor der Repression im Spanischen Staat geflüchtet – doch in der Schweiz hatte sie diese wieder eingeholt.
In Spanien drohten Nekane bis vor Kurzem mehrere Jahre Gefängnis, da sie die militante Untergrundorganisation ETA unterstützt haben soll, wie die Spanischen Behörden behaupteten. Doch der einzige «Beweis» für ihre Verurteilung sei ein 1999 unter Folter erpresstes Geständnis, hatten Nekane und ihre Anwält*innen stets erklärt.
Nun hat die Spanische Justiz zwar überraschend Nekanes Haftstrafe für verjährt erklärt, aber weder Spanien noch die Schweiz haben die Folter der baskischen Aktivistin je anerkannt. Die Schweizer Behörden hätten Nekane zuletzt wohl bereitwillig ausgeliefert.
Tausende baskische politische Gefangene berichteten bereits von Folter im Polizeiverhör – als systematische Repression gegen die Unabhängigkeitsbewegung. Eine Studie der baskischen Regionalregierung zählt über 4300 Fälle von Folter, die sich zwischen 1960 und 2013 ereignet haben.
In Nekanes Fall haben sich der Uno-Sonderberichterstatter über Folter, die Weltorganisation gegen Folter, international renommierte medizinische Gutachter*innen sowie Menschenrechtsorganisationen für sie eingesetzt und ihre Aussage gestützt. Trotzdem haben die Schweizer Behörden dies bis zuletzt ignoriert. Und obwohl die Auslieferung einer gefolterten Person in ihr Heimatland gegen die Anti-Folterkonvention verstossen würde, hat das Bundesamt für Justiz Nekanes Ausschaffung nach Spanien bewilligt. Ihre Schilderungen der Folter seien «unvorstellbar». Auch das Bundesstrafgericht, als zweite Instanz, erlaubte die Auslieferung mit der Begründung, Spanien sei ein «Land mit demokratischer Tradition». Solche Länder würden die Menschenrechte achten.
Die beiden Gerichtsentscheide zeigen: Den Schweizer Behörden mangelt es offenbar nicht nur an Vorstellungsvermögen, sondern zudem an einem grundsätzlichen Verständnis der westeuropäischen Geschichte. Mal ganz abgesehen davon, dass «Länder mit demokratischer Tradition» genauso foltern können, wie alle anderen – das US-amerikanische Gefangenenlager Guantanamo lässt grüssen. In Bezug auf Spanien mutet die Bezeichnung «demokratische Tradition» geradezu zynisch an: Zumal General Franco erst seit 1975 tot ist. Davor hat der faschistische Diktator das Land vierzig Jahre lang regiert. An die Macht gelangt ist Francisco Franco, indem er 1936 gegen die demokratisch gewählte, republikanische Regierung putschte und mit dem Staatsstreich Spanien in den Bürgerkrieg stürzte.
Syndikalistische, sozialistische, kommunistische und anarchistische Milizen stellten sich dem Putsch in den Weg und kämpften drei Jahre lang gegen Francos Truppen. Doch die Franquist*innen entschieden den Krieg für sich – nicht zuletzt mit Hilfe von Hitler und Mussolini und mit dem Segen der katholischen Kirche. Im April 1939 erklärte Franco den Krieg für beendet, er stieg vom Putschist zum Diktator auf. Eine halbe Million der spanischen Bevölkerung flüchtete vor dem Regime ins Exil.
Und die Schweiz? Sie anerkannte das franquistische Spanien bereits im Februar 1939 und hielt ihre Grenzen für republikanische Geflüchtete und Regime-Gegner*innen geschlossen. Nur Irland hatte unter den sogenannten westeuropäischen Demokratien Franco noch schneller formell anerkannt.
Dass die Schweiz kein Problem mit dem faschistischen Regime hatte, zeigte sich auch im Umgang mit den rund 800 Schweizer Freiwilligen, die in den internationalen Brigaden gegen Francos-Truppen und den Faschismus gekämpft hatten. Bis zu 40’000 Freiwillige aus über fünfzig Ländern hatten in Spanien gegen Franco gekämpft. Die Schweiz war dabei der erste Staat, der die Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg unter Strafe stellte. Kein Land hat «seine» Freiwilligen systematischer erfasst, abgeurteilt und in den Knast gesteckt. Erst siebzig Jahre später, 2009, hat die Schweiz die freiwilligen Kämpfer*innen rehabilitiert.
Wenn sich in Bezug auf den Fall von Nekane eine Tradition zeigt, dann ist dies sicher keine vermeintlich «demokratische Tradition» Spaniens. Vielmehr wird eine altbekannte Schweizer Tradition deutlich. Eine Tradition, die Diplomatie höher gewichtet als Grundrechte. Die sich taub stellt und auf dem rechten Auge schon lange blind ist. Eine Tradition, die sozialen Bewegungen und Kämpfe einerseits stets klein hält und zu befrieden versucht und sie andererseits – wenn nötig – die volle Wucht der Repression spüren lässt. Eine Tradition, die ihre Grenzen schliesst, Menschen ausliefert und einmal mehr das Boot für voll erklärt. Es liegt an uns, mit dieser Tradition zu brechen.