Anfang Februar stand die Baskin Iratxe Sorzabal in Madrid vor Gericht. Nun wurde sie aufgrund eines unter Folter erzwungenen Geständnis zu 24 Jahren Haft verurteilt. Der Fall wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf die Folterpraxis des spanischen Staates.
Der Prozess am 8. und 9. Februar 2022 wurde im Baskenland mit Spannung erwartet: Angeklagt war die Baskin Iratxe Sorzabal. Das spanische Sondergericht Audiencia Nacional warf der 50-Jährigen vor, an zwei ETA-Anschlägen in Gijón im Jahr 1996 beteiligt gewesen zu sein. Einziges Beweismittel: Ein Geständnis, das unter Folter erzwungen wurde. Nun wurde Sorzabal zu 24 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt.
Vor Gericht schilderte Iratxe Sorzabal die überlebte Folter: Plastiktüte über dem Kopf, Elektroschocks, Schläge, und wie sie gezwungen wurde, sich selbst und andere zu beschuldigen. „Nach der Hölle, die sie mir angetan haben, hatte ich keine andere Wahl“, beschreibt Sorzabal ihre damalige Situation. Während der Inhaftierung 2001 musste sie aufgrund der erlittenen Folterverletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert und behandelt werden. Zeitgleich zum Prozess Anfang Februar veröffentlichte die baskische Tagezeitung Naiz ein bisher unveröffentlichtes Video von 2001, in dem Sorzabal die Folter beschreibt. „Ich hatte keine Angst zu sterben, ich wollte sterben“, antwortet sie darin auf die Fragen eines Journalisten, der sie wenige Monate nach ihrer Verhaftung interviewte.
Iratxe Sorzabal wurde im März 2001 von der Guardia Civil festgenommen. Ihre Verhaftung geschah im Kontext der seit 1998 gesteigerten Kriminalisierung und Verfolgung von baskischen Aktivist:innen unter dem Slogan „Todo es ETA“ (Spanisch: alles ist ETA). Wie viele andere wurde Sorzabal während fünf Tagen Incomunicadohaft (Haft ohne Kontakt zu Angehörigen oder Anwält:innen) gefoltert. Fotos ihres gefolterten Körpers kursierten im Baskenland und schockierten. Baskische Organisationen forderten schon damals eine Erklärung, doch die spanische Regierung schwieg. Im gleichen Jahr floh Sorzabal.
Auf der Flucht schloss sich Iratxe Sorzabal der bewaffneten baskischen Untergrundorganisation ETA an. Später spielte sie eine tragende Rolle im Prozess zur Beendigung des bewaffneten Kampfs und 2011 gehörte sie zu jenen drei ETA-Exponent:innen, die den einseitigen und andauernden Waffenstillstand öffentlich verkündeten. 2013 fuhr sie unter internationalem Schutz nach Oslo, um für die ETA mit der spanischen Regierung einen Friedensprozess auszuhandeln. Doch diese verweigerte sich und die Verhandlungen scheiterten.
2015 wurde Iratxe Sorzabal in einer kleinen baskischen Gemeinde in Frankreich festgenommen und später von einem französischen Gericht wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung mit terroristischen Zielen“ zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ihre Haftstrafe endet 2023. Doch die Audiencia Nacional forderte bereits vier Mal ihre Auslieferung. Die französischen Behörden lehnten zunächst ab, weil Sorzabal als Folteropfer gemäss Istanbul-Protokoll anerkannt wurde und folglich eine Auslieferung nach internationalem Recht verboten ist. Im Januar dieses Jahres gab die französische Justiz dem spanischen Druck aber nach und lieferte Sorzabal für die Dauer des Prozesses aus.
Die Folter von Iratxe Sorzabal erinnert an diejenige von Nekane Txapartegi. Die baskische Aktivistin und Feministin wurde 1999 von der Guardia Civil verhaftet und ebenfalls gefoltert. Daraufhin floh sie mit ihrer Tochter in die Schweiz, wo sie seit mehr als 10 Jahren lebt. 2016 wurde Nekane Txapartegi in Zürich verhaftet und die spanischen Behörden forderten ihre Auslieferung. Nach langem juristischen und diplomatischen Tauziehen und unter Druck einer breiten Solidaritätsbewegung in der Schweiz und im Baskenland wurde Txapartegi nach siebzehn Monaten Haft freigelassen. Für eine politische Anerkennung der Folter und ein Ende der politischen Verfolgung kämpft Nekane Txapartegi jedoch bis heute.
Iratxe Sorzabal und Nekane Txapartegi sind keine Einzelfälle. Die Stiftung Egiari Zor spricht von 5657 Personen, die in spanischer Haft gefoltert wurden. Sorzabals Anwältin wies darauf hin, dass mehr als die Hälfte der knapp 200 baskischen politischen Gefangenen einzig aufgrund von Folterbeweisen verurteilt wurden. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Spanien bereits mehrfach für Folter verurteilt.
Im Land selber bleiben die Institutionen aber unangetastet. Die Behörden verweigern Untersuchungen und die Verantwortlichen kommen ungestraft davon. So auch im Fall von Iratxe Sorzabal. Der Gerichtshof Audiencia Nacional wies Sorzabals Folterklage ab mit der Begründung, dass die Folter «nicht vollständig bewiesen» sei. Eine Untersuchung wurde nicht angeordnet. Die unter Folter erzwungenen Geständnisse gelten vor Gericht also weiterhin als Beweismittel. Für Sorzabal heisst dies, dass sie nach der Verbüssung der französischen Haftstrafe in ein spanisches Gefängnis überführt werden soll. Die baskische Zivilgesellschaft lässt weiterhin nicht locker und fordert Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und eine politische Lösung des Konflikts.
Im geplanten Dokumentarfilm „Bi Arnas“ (Baskisch: Zwei Atemzüge) schildert Iratxe Sorzabals Mutter die Verfolgung und Folterung ihrer Tochter. Momentan findet ein Crowdfunding für die Finanzierung des Films statt.