Im März dieses Jahres machte das Basler Kaffeehaus «Unternehmen Mitte» Schlagzeilen: Die Angestellten wehrten sich gegen sexuelle Übergriffe und ein schlechtes Arbeitsklima. Wir sprachen mit Nuria und Eric über die Organisierung am Arbeitsplatz und wie Basisgewerkschaften und linksradikale Gruppen solche Kämpfe unterstützen können.
Das «Unternehmen Mitte» will kein normales Kaffeehaus sein, sondern eine progressive Oase in der Pharmastadt Basel. Hier wurde die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen ersonnen, über die im Jahr 2016 abgestimmt wurde. Die Chefs vertreten anthroposophische Werte. Das Kaffee ist ein Arbeits- und Debattenort für Künstler:innen und Kreative.
Im Frühling dieses Jahres erhielt diese Fassade erhebliche Risse. Viele Ex-Angestellte des «Unternehmen Mitte» hatten sich organisiert und prangerten Missstände an. Die Chef:innen verfolgten lieber fragwürdige Bauprojekte, statt sich um das Wohlbefinden der Angestellten zu sorgen. Deren Anliegen und Forderungen wurden permanent ignoriert – selbst dann, als sich diese zu organisieren begannen und im Januar 2020 einen Brief an die Geschäftsleitung formulierten.
Die Basisgewerkschaft IGA unterstützte die Belegschaft bei der folgenden Auseinandersetzung. Zu diesem Arbeitskampf veröffentlichen wir nun zwei Interviews: Eines mit Nuria (alle Namen geändert), welche lange in der «Mitte» arbeitete und uns von ihren Erfahrungen und dem Organisierungsprozess erzählt. Und ein zweites mit Eric, der sowohl bei der linksradikalen Organisation «Lotta», wie auch bei der IGA aktiv ist und uns von seinen politischen Perspektiven bei der Basisgewerkschaft erzählt.
«Unser Zusammenhalt war unumstösslich»
Ajour: Nuria, du bist eine der Ex-Angestellten, die sich gegen die Geschäftsleitung des «Unternehmen Mitte» organisiert haben. Was sind deine Erfahrungen in diesem Gastrobetrieb?
Nuria: Ich habe im Sommer 2018 als Barista angefangen, nach einem Jahr wurde ich Teamchefin. Die Stimmung unter den Angestellten war immer sehr gut – man respektierte und wertschätzte sich, zeigte Interesse am Gegenüber, begegnete sich auf Augenhöhe. Nach und nach erfuhr ich aber von Missständen und Vorfällen mit der Geschäftsleitung, die ich als Teamchefin später auch selbst mitbekam.
Was für Missstände waren das?
Nuria: Die Geschäftsleitung kommuniziert mit den Mitarbeiter:innen nicht klar. Die Informationswege waren unstrukturiert und so kam es nicht selten vor, dass uns Besucher:innen auf neue Angebote ansprachen, bevor wir davon wussten. Dazu kamen immer wieder grenzüberschreitende Aussagen von Daniel Häni (Mitglied der Geschäftsleitung, Anm. d. Red.) gegenüber Mitarbeitenden. Es gab ausserdem häufiger Projekte oder Umbauarbeiten, die uns Mitarbeiter:innen in unserer täglichen Arbeit beeinträchtigten, über die wir aber nicht informiert worden waren. Oft erfuhren wir im Nachhinein, dass die Umbauten auf unüberlegten Fehlinvestitionen oder Fehlplanungen basierten. Gleichzeitig wurden aber Mitarbeitende sofort nach Hause geschickt, wenn wenig Gäste da waren, um zu sparen.
Wie hast du darauf reagiert?
Ich habe über längere Zeit versucht, den persönlichen Austausch mit der Geschäftsleitung (insbesondere mit Daniel Häni) zu suchen. Ich hatte das Bedürfnis ihre Handlungen und Gedanken zu verstehen und hatte die Hoffnung meine schlechten und oft auch irritierenden Erfahrungen abgleichen oder dadurch besser verstehen zu können. Leider habe ich auf diese Fragen nie konkrete Antworten bekommen. Mit der Zeit habe ich die manipulativen Strukturen und Muster der Geschäftsleitung erkannt.
Im Januar 2020 habt ihr Angestellten einen Brief an die Geschäftsleitung geschrieben. Wie kam es dazu?
Die Geschäftsleitung übernahm keine Verantwortung für ihr Handeln und liess alle Versprechen ins Leere laufen. Zahlreiche engagierte Mitarbeitende verliessen die «Mitte». Das wollte ich einfach nicht mehr hinnehmen. Manchmal braucht es einen Impuls von einer Einzelperson, um etwas in die Gänge zu bringen. Natürlich gab es auch Mitarbeiter:innen, die davon abrieten, sich zu werden. Diesen Gegenwind galt es auszuhalten. Die Organisierung begann bereits Ende November 2019. Zuerst in einer Kerngruppe und dann mit allen Mitarbeitenden, die die Inhalte des internen Mitarbeiter:innenbriefs mitgestalten wollten. 25 Mitarbeitende und 16 ehemalige Mitarbeitende haben den Brief am Ende unterschrieben.
Ihr habt mit der Interprofessionellen Gewerkschaft der Arbeiter:innen IGA zusammengearbeitet. Wie kam dieser Kontakt zustande?
Im Zusammenhang mit dem vorerst internen Mitarbeiter:innenbrief im Januar 2020 haben wir damals neben den aktuellen Mitarbeitenden auch viele Ehemalige angeschrieben, um so auch aufzuzeigen, dass die Missstände nicht neu sind. Unter den ehemaligen Mitarbeitenden befand sich eine Person, die bei der IGA arbeitet und uns mit der Gewerkschaft vernetzte. Nachdem wir den Brief abgeschickt hatten, kam ein Treffen zwischen der IGA und ein paar Mitarbeitenden zustande, an dem die IGA uns ihre Arbeit vorgestellte und ihre Unterstützung anbot.
Nachdem es vonseiten der Geschäftsleitung erste Reaktionen auf unseren Brief gab und es darum ging, im Kollektiv über die nächsten Schritte zu entscheiden, haben wir eine Person der IGA eingeladen. Diese hat uns über unsere Rechte als Arbeitnehmende aufgeklärt, mögliche weitere Organisations- und Aktionsformen aufgezeigt und uns motiviert, dran zu bleiben. Die IGA hat uns von Beginn an bedingungslos ernst genommen und immer gesagt, wie wichtig unser Protest ist: Das hat unsere Motivation gestärkt. Als wir uns dann im Sommer 2020 entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen, begannen wir damit, uns regelmässig mit der IGA zu treffen, um eine gemeinsame Aktion zu planen.
An die Öffentlichkeit zu gehen ist ein grosser Schritt in einem Arbeitskonflikt. Wie seid ihr dazu gekommen?
Wir haben zu Beginn dieser Auseinandersetzung alle fest an das Potential des Ortes geglaubt und an die Menschen, die dort arbeiten. Wir versuchten es intern mit viel Geduld und einem konstruktiven Ansatz. Wir gaben der Geschäftsleitung unzählige Chancen, um uns und die Missstände ernst zu nehmen, ihr Verhalten zu überdenken und zu ändern.
Nachdem wir der Geschäftsleitung den Brief gaben, folgte ein endloses Hin und Her: Abläufe wurden in die Länge gezogen, wir wurden vertröstet, unsere Punkte ignoriert, es gab Ausweichmanöver und manipulative Gespräche, die Verantwortung wurde abgeschoben und es kam zu Mobbing von einzelnen Beteiligten.
In den Medien wurden dann auch noch sexualisierte Übergriffe thematisiert.
Ja, der Küchenchef beging mehrere Übergriffe. Der Umgang der Geschäftsleitung mit dem Vorfall und der betroffenen Person war inakzeptabel und hat das Fass für einige Mitarbeitende zum Überlaufen gebracht. Für mich persönlich zerstörte das die letzte Hoffnung auf eine zukünftige Zusammenarbeit. Drei Personen kündigten während dieser Zeit. Wir sahen keine andere Möglichkeit mehr, als eine öffentliche Aktionsform zu wählen. Nachdem alle von der Kerngruppe gekündigt hatten, wurde uns einerseits klar, dass nur der öffentliche Druck die Geschäftsleitung zum Handeln bewegen konnte. Dazu fanden wir, dass die Besucher:innen der «Mitte» und die Basler Bevölkerung das Recht haben, zu wissen welche Zustände hinter den Türen dieses angeblich «vorbildlichen» Unternehmen herrschen. Dass die vom sexuellen Übergriff betroffene Person motiviert war, mit uns zusammen an die Öffentlichkeit zu gehen, war unglaublich stark und hat der Aktion zusätzlich Gewicht verliehen.
Wie war die Erfahrung dieses Arbeitskampfes für dich?
Bestärkend und interessant, aber auch aufwühlend, ermüdend und sehr intensiv. Ich glaube, ich habe schon lange nicht mehr so vieles in so kurzer Zeit zum allerersten Mal gemacht. Da gab es viele Momente, in denen ich über meinen Schatten sprang.
Die vielen Monate der Vorbereitung zusammen mit der IGA und den ehemaligen Mitarbeitenden zahlten sich während der Aktion aus. Unser Zusammenhalt war unumstösslich. Da herrschte so viel gegenseitiges Vertrauen, Stärkung, Transparenz, gegenseitige Fürsorge und Drive – das hat richtig Spass gemacht! Alles klappte wie geplant und die Aktion erzeugte viel Resonanz in der Öffentlichkeit, aber auch in meinem privaten Umfeld. Das hat mich manchmal richtig umgehauen. Da kamen so viele Menschen auf mich zu, die mir dann von ähnlichen eigenen Erfahrungen erzählt haben. Menschen die sich dafür bedankten, dass wir das machen. Menschen die sich mit uns solidarisierten und Stellung bezogen.
Diese Stimmung und die Tatsache, dass der öffentliche Druck die Geschäftsleitung dazu zwang, den Küchenchef zu entlassen, hat mir einmal mehr bewusst gemacht, wie sehr es sich lohnt, sich zusammenzuschliessen und sich gemeinsam zu wehren!
Was nimmst du davon mit?
Diese Erfahrung hat mir geholfen, meiner eigenen Stimme mehr Bedeutung zuzuschreiben und auch mal Paroli zu bieten. Als in dieser Gesellschaft sozialisierte Frau war ich es gewohnt, die deeskalierende Schiene zu fahren und Probleme wegzustecken. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, Wut zu zeigen. Dafür bin ich sehr dankbar! Durch die IGA habe ich ausserdem gelernt, Formen von Machtmissbrauch, Diskriminierung und übergriffigem Verhalten zu erkennen und zu benennen. Diese Aufklärung hat mir nun auch bereits in Situationen an meinem aktuellen Arbeitsplatz geholfen, mich weniger hilflos zu fühlen und meine Rechte einzufordern.
Wie geht es für dich weiter?
Ich werde weiterhin meine Privilegien und meine Erfahrungen nutzen, um mich für Gerechtigkeit und einen respektvollen Umgang von und zwischen Menschen einzusetzen. Ich werde mehr denn je wachsam sein, Missstände zu benennen und mich nicht scheuen, die Spielverderberin zu sein. Sei es in meinem privaten oder beruflichen Umfeld oder in einem grösseren politischen Rahmen.
«Eine bewegungsnahe Gewerkschaft ist in zwei Richtungen interessant»
Ajour: Eric, wie kam es zu deinem Engagement bei der Interprofessionellen Gewerkschaft der Arbeiter:innen IGA?
Eric: Ich bin bei der Organisation Lotta aktiv, die sich an der IGA beteiligt, weil das eine interessante Basisstruktur ist. Es sind in letzter Zeit verschiedene Leute aus der Bewegung in die IGA gekommen, wir sind quasi eine neue Generation in dieser Basisgewerkschaft.
Inwiefern ist für euch von Lotta die IGA eine interessante Basisstruktur?
Die IGA hat eine lange Tradition von spannenden Arbeitskämpfen und Prozessen der Selbstorganisierung vor allem in prekären wirtschaftlichen Sektoren. Die IGA macht keine Stellvertretungs-Verhandlungen, sondern hat kollektives Handeln und Selbstermächtigung zum Ziel. In einem Arbeitskampf wird also ein gemeinsamer Prozess aufgebaut und nach Möglichkeiten gesucht, die Macht der Chef:innen zumindest punktuell zu kontern.
Was erhofft sich Lotta von der Zusammenarbeit mit der IGA?
Es gibt bezüglich Ernsthaftigkeit, Verantwortung und was es heisst, Arbeiter:innen wirklich bei Problemen zu unterstützen, viel von der älteren Generation der IGA zu lernen. Wir möchten gerne an diese Erfahrung anknüpfen und sie mit unserer linksradikalen Politik verbinden. Eine bewegungsnahe Gewerkschaft ist in zwei Richtungen interessant: Einerseits gelangen Arbeitskämpfe stärker in die linke Bewegung hinein. Andererseits kann es Arbeitskämpfen zu mehr Sichtbarkeit und Stärke verhelfen, wenn Teile der Bewegung ihre Arbeit in eine solche Gewerkschaft stecken. Die radikale Linke ist es sich von anderen Kämpfen gewohnt, Öffentlichkeit zu schaffen, auch mit Mobilisierungen. Und das kann in Arbeitskämpfen ein sehr wirksames Mittel sein. Öffentlichkeit verhindert, dass Angelegenheiten hinter verschlossenen Türen geregelt werden, der Druck auf die Chef:innen wird erhöht. Und zudem ist Kollektivität und Solidarität sofort spürbar, wenn diese Öffentlichkeit durch eine Mobilisierung oder Protestaktion erreicht wird.
Bei der «Mitte» hat sich das bewährt.
Ja, bei jeder Stellungnahme sind die Chefs erst eingeknickt, bis sie dann ganz eingebrochen sind. Das wäre nicht passiert, wenn wir sie direkt als IGA kontaktiert hätten. Darüber hinaus haben öffentlichkeitswirksame Aktionen den Nutzen, dass ein weiteres Umfeld aktiviert wird. Es wird aufgezeigt, dass es möglich ist, sich gegen miese Arbeitsverhältnisse zu organisieren, zu kämpfen und auch zu gewinnen.
Was wurde denn überhaupt gewonnen?
Der zentralen Forderung, dass der übergriffige Küchenchef entlassen werden soll, wurde irgendwann nachgekommen. Dass ein massiver Übergriff auch Konsequenzen hat, ist über diesen einzelnen Fall hinaus von Bedeutung, da sexualisierte Gewalt in der Gastronomie weit verbreitet ist.
Natürlich sitzen aber immer noch die gleichen Chef:innen auf ihren Sesseln. Materielle Verbesserungen waren nicht explizit Teil der Forderungen.
Ein Fehler?
Im Nachhinein betrachtet wäre es wohl möglich gewesen, die Bereicherung der Geschäftsleitung und das Sparen bei den Lohnkosten stärker zu thematisieren. Aber einerseits machen nicht wir die Forderungen, sondern die Angestellten und andererseits waren die Druckmittel derjenigen Angestellten, die bereits gekündigt hatten, nicht mehr so stark. Ausserdem vertreten wir die Ansicht, dass gewerkschaftliche Organisierung nicht auf ökonomische Ausbeutung und Kämpfe um mehr Lohn beschränkt sein soll, sondern auch Sexismus und Rassismus am Arbeitsplatz in den Blick nehmen muss. Auf jeden Fall waren die Auseinandersetzungen in der «Mitte» für uns und die beteiligten Angestellten sehr ermutigende Erfahrungen.