Mitte Mai hätte in Lugano der afro-italienische Rapper Bello Figo Gu auftreten sollen. Doch nach öffentlichen Drohungen von Neonazis sagte der Veranstalter das Konzert ab. Tessiner Medien berichteten ausgiebig über den Fall – auch weil einer der Täter einen bekannten FDP-Kantonsrat zum Papi hat. Über die Alpen schaffte es die Story indes nicht. Deshalb wollen wir die Geschichte hier einmal aufrollen. Zudem haben wir in einem Interview mit Tessiner Genoss*innen ausführlich über die Situation in der Südschweiz gesprochen.
Italienische Rassist*innen haben eine neue Hassfigur. Sie ist jung, erfolgreich, frech und – vor allem – schwarz. Bello Figo Gu ist Youtube-Star, gilt als Skandal-Rapper und vereint so ziemlich alles, was die italienische Rechte zur Weissglut treibt. Bello Figo (übersetzt etwa «schön geil») stammt aus Ghana, sieht aus wie ein Paradiesvogel in Gucci-Shorts, trägt die Hosen rekordverdächtig weit unter dem Arsch, behauptet, mit vorzugsweise weissen Frauen diverse Sexualpraktiken zu vollziehen, hat ein Hello-Kitty-Tattoo auf der Brust und macht Rassist*innen lächerlich. Gucci Boy, so hiess Bello Figo bis er so berühmt wurde, dass der Modekonzern die Namensrechte geltend machte, kam als Elfjähriger nach Parma, wo er aufwuchs. Wenn er will, spricht er ein astreines Italienisch. Als Künstler jedoch rappt er im Slang der afrikanischen Einwanderer. Wenn seine Texte nicht gerade von Sex handeln, werden Köstlichkeiten wie Pizza, Pasta oder Kebap beschworen oder aber – und das ist der springende Punkt – das imaginierte Leben eines in Saus und Braus lebenden, arbeitsfaulen und staatssubventionierten Flüchtlings besungen.
«Non pago affitto» (Ich zahle keine Miete), «non facci› opraio» (Ich mach› nicht den Lohnarbeiter) sind im Prinzip nichts anderes als Bestätigungen der rassistischen Vorurteile der italienischen Rechten. Indem aber ausgerechnet ein schwarzer Immigrant die hohlen Parolen rappt, stellt er deren eigentliche Erfinder*innen bloss. «Alle meine Freunde sind mit dem Boot hergekommen. Kaum sind wir in Italien angekommen, haben wir schon Haus, Autos, Frauen.» In Italien wird der Rapper dafür gefeiert wie auch gehasst. Bis zu 18 Millionen Clicks haben seine Videos auf Youtube erreicht. In bereits legendären TV-Talkshows redeten sich Politgrössen wie die Faschistin Alessandra Mussolini (die Enkelin des Diktators) oder Matteo Salvini, Chef der fremdenfeindlichen Lega Nord, spektakulär in Rage. Er solle gefälligst «zurück nach Ganda oder Ghana oder wie das heisst», wetterte etwa Mussolini sichtlich überfordert.
Konzert-Absage nach Besprechung mit Polizei
Mitte Mai hätte Bello Figo im Club WKND in Lugano auftreten sollen. Doch es kam anders. Auf Plakaten bedrohten Neonazis den Veranstalter und den Künstler: Wenn das Konzert nicht abgesagt werde, habe dies «für das Lokal oder den von euch eingeladenen Flüchtling ernsthafte Konsequenzen entweder vor, während oder nach dem Konzert», hiess es auf dem mit Haken- und Keltenkreuz versehenen Plakat. Nach einer Absprache der Polizei mit dem Veranstalter entschied sich Letzterer dazu, das Konzert abzusagen. Die Polizei verteidigte sich im Nachhinein zwar damit, sie hätte in keiner Weise Druck auf den Veranstalter ausgeübt, das Konzert abzusagen. Der WKND-Club jedoch schrieb in einer Mitteilung: «Uns war nicht danach, unter Personenschutz (50 Polizisten), welcher teilweise auf unsere Kosten gegangen wäre, zu öffnen. Die Veranstaltung machte keinen Sinn mehr, auch im ökonomischen Sinne nicht.» Damit entgingen dem Club zugleich die erwarteten Einnahmen des Abends, die «nicht wenig» gewesen wären, so der WKND-Club.
Von Überwachungskamera gefilmt
Lange konnten die Nazis ihren Triumph aber nicht feiern. Einer stellte sich nämlich dumm genug an, und liess sich beim nächtlichen Aufhängen der Droh-Plakate ausgerechnet von der Überwachungskamera des Clubs filmen – unvermummt und mit Plakat in der Hand. Nachdem die Staatsanwaltschaft nach zwei Tagen ein Fahndungsfoto veröffentlichte, stellte sich zuerst der eine, dann der andere Täter.
Man darf davon ausgehen, dass zumindest jener Zwanzigjährige, der sich zuerst stellte, seine Selbstauslieferung massgeblich unter dem Einfluss seines Vaters vollziehen musste. Dieser sitzt nämlich für die FDP im Tessiner Kantonsrat und hat einen Ruf oder mehr zu verlieren. So trabte der Jungbengel denn auch brav mit einem Anwalt an und tat, wie ihm geheissen.
Kein Verstoss gegen Rassismus-Strafnorm?
Doch zumindest wegen der rassistischen Komponente ihrer Tat mussten die beiden Neonazis nie gravierende Konsequenzen befürchten. Der ermittelnde Staatsanwalt John Noseda (SP) kündigte nämlich schon früh an, dass er nicht wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm Anklage erheben werde. Dies weil die beiden Täter ein umfangreiches Geständnis ablieferten, sich reuig zeigten, und keine nationalsozialistische Propaganda betreiben, sondern nur die Diskothek hätten einschüchtern wollen. «Nur um eine Szene zu machen», sei etwa das Hakenkreuz abgebildet worden, erklärte Noseda.
Seinen Ermittlungen zufolge, entstammen die beiden Neonazis weder der «Hooligan-Szene», noch sind sie mit Aktionen «des organisierten Typus» in Verbindung. Wenigstens die erste Behauptung muss angezweifelt werden, seitdem der staatliche Fernseh- und Radiosenders RSI etwas genauer hingeschaut hatte. Viel brauchte es dazu nicht; via Facebook-Accounts der beiden Verurteilten stiess RSI bald auf die «Bravi Ragazzi» (Mutige Jungs). Dabei handelt es sich um eine neue Gruppierung von einem Dutzend jugendlichen FC Lugano-Anhängern. Zumindest im Internet gaben sich die mutigen Jungs offen neonazistisch. Die Accounts sind mittlerweile gelöscht.
Ohnehin braucht es ein hohes Mass an Kreativität, um darzulegen, dass die mit maximaler Öffentlichkeit ausgesprochene Drohung und Diskriminierungsaufforderung nicht gegen die Antirassismus-Strafnorm verstösst. «Ein Flüchtling wie er», Bello Figo, diese «Person einer anderen Nation» habe im Tessin nichts zu suchen, hiess es auf dem Plakat. Die Erzählung eines unüberlegten Bubenstreichs wird umso absurder, als dass die Täterschaft nach der Aktion eine ausführliche Medienmitteilung verschickte. Darin bekannte sich eine bisher unbekannte «Associazione Nuova Destra» (Assoziation Neue Rechte) zur Tat: «Ziel unserer Assoziation ist es, unsere Kultur, unsere Prinzipien und unsere Ideale zu verteidigen.» Und weiter: «Dieses ganze Gutmenschen- und Spiessbürgertum ist ein Krebsgeschwür für unsere Gesellschaft» Weil es in den sozialen Medien für die Aktion nicht wenige wohlwollende Kommentare gab, posaunten die Nazis, «wir sind die Stimme des Volkes».
Skandalisierung ohne Auseinandersetzung
Immerhin reichte der Tatbestand noch zu einer Verurteilung wegen Nötigung. Das Strafmass aber ist auffällig mild – zu gerade einmal 90 Tagessätzen bedingt wurden die beiden Jungnazis verurteilt. Umso massiver war die mediale Verwertung dieser vorsommerlichen Skandalstory. Neben wohl fast hundert Zeitungsartikeln hagelte es Medienmitteilungen von Polizei, Staatsanwaltschaft, Nazis, dem WKND-Club, von Parteien und sogar die offiziell unpolitischen, tendenziell aber rechtsoffenen Lugano-Ultras von «Teste Matte» meldeten sich zu Wort. Leider darf von dieser Aufmerksamkeit nicht automatisch auf eine gesellschaftliche Auseinandersetzung oder Aufarbeitung geschlossen werden. Dafür fehlt zur Zeit ein entsprechendes Klima, wie aus den Ausführungen der Genoss*innen im grossen Tessin-Interview hervorgeht.
Titelbild: Youtube.