Die Journalist*innen der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) reagierten mit einem Streik auf angekündigte Massenentlassung, die einen Viertel der Redaktionsangestellten treffen soll. Nach vier Tagen war der Druck genügend hoch, um den Verwaltungsrat an den Verhandlungstisch zu zwingen. Dafür mussten die Streikenden allerdings versprechen, ihren Streik zu sistieren.
Von Oliver Mando und Nino Fedele. Die Arbeitsbedingungen und Löhne von Medienschaffenden geraten in den letzten Jahren zunehmend unter Druck. Dennoch verhalten sich die Journalist*innen zurückhaltend. Besonders in der Deutschschweiz werden Konflikte zwischen den Angestellten und den Medienhäusern kaum offen ausgetragen. Der Streik bei der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) ist nicht nur für die betroffenen Angestellten wichtig, er hat auch das Potential, die Kampfbereitschaft der Medienschaffenden aus dem Dornröschenschlaf zu wecken.
Die Angestellten der SDA haben mit ihrem Streik Verhandlungen erzwungen. Auf der Traktandenliste stehen die angekündigten Entlassungen und Auslagerungen sowie ein Sozialplan für entlassene Mitarbeitende, der für alle Beschäftigten – insbesondere für die über sechzigjährigen – etwas hergeben soll. Zusätzlich sollen aber auch Mitbestimmungsrechte bezüglich publizistischer Strategie diskutiert werden. Die Angestellten der SDA wollen, dass ihre Agentur selbstständig bleibt. Die selbstbewusste und politische Haltung der streikenden Journalist*innen ist kein Zufall. Der SDA-Streik findet gleichzeitig wie der heftige Abstimmungskampf um die „No Billag“-Initiative statt. Dabei setzen sich das liberale Bürgertum und die parlamentarische Linke mit ungekannter Heftigkeit gegen die Einflussnahme nationalistischer und ultraliberaler Kreise zur Wehr.
Diese Woche beginnen die Verhandlungen der Streikenden mit dem Verwaltungsrat der SDA. Danach wird das Personal entscheiden, ob die Zugeständnisse zufriedenstellend sind oder ob der Streik weitergeführt werden soll.
Protestkundgebung vor dem Tamedia-Gebäude in Zürich. Bild: Inside sda/ats.
Service Public oder Gewinnmaximierung?
Die Journalist*innen der Schweizerischen Depeschenagentur produzieren rund 230’000 Nachrichtenmeldungen pro Jahr. Diese Meldungen haben den Ruf, inhaltlich gut recherchiert zu sein, werden nicht kritisch kommentiert und kommen in einem nüchternen Stil daher. Damit nimmt die SDA eine wichtige Rolle in der Ideologiereproduktion der herrschenden Klasse ein. Der grösste Kunde der SDA ist die Bundesverwaltung. Um ihre Behörden auf dem Laufenden zu halten zu halten, leistet sich der Schweizer Staat ein Jahresabonnement für knapp drei Millionen Franken. Zudem steht zur Debatte, ob die SDA ab 2019 subventioniert werden soll. Ihre Meldungen verkauft die SDA auch an die Medien. Aufgrund des erhöhten Kostendruckes werden die Agenturmeldungen oftmals unverändert abgedruckt, zuweilen werden einige Titel und Adjektive angepasst, um dem Artikel die gewünschte ideologische Prägung des jeweiligen Mediums zu verpassen.
Die SDA ist mehrheitlich im Besitz der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, sowie der Medienkonzerne Tamedia AG, NZZ und AZ Medien. Anfang Januar 2018 gab die SDA bekannt, dass ihre Redaktion wegen des steigenden Preisdruckes neu strukturiert werde und darum die Inland- und Auslandredaktion zusammengelegt und der Umfang anderer Themenbereiche redimensioniert werden müssten. Dies habe einen Abbau von bis zu 40 Vollzeitstellen zur Folge, was einem einem Viertel der Belegschaft entspricht. Laut Tages-Anzeiger vom 20. Januar 2018 setzten die Medienunternehmen NZZ und AZ Medien die SDA massiv unter Druck und drohten, eine kostengünstige Konkurrenz aufzubauen. Damit verbunden war die Forderung nach einer starken Preissenkung der Agenturmeldungen. Die beteiligten Medienhäuser wollen auch die Quersubventionierung der französisch- und italienischsprachigen Dienste der SDA nicht mehr mittragen.
Bis anhin verstanden sich die Journalist*innen der SDA als Teil des Angebotes der öffentlichen Hand («Service Public») und nicht so sehr als Produktionsfaktor einer Aktiengesellschaft. So flossen die Gewinne der SDA denn auch nicht in die Taschen ihrer Aktionär*innen, sondern standen der SDA vollumfänglich zur Verfügung. Aktuell ist ein Zusammenschluss mit der Bildagentur Keystone, an der die SDA 50% hält in Planung. Durch die angestrebte Fusion würde sich dies ändern. Die neue Firma müsste für die Aktionär*innen Profite erwirtschaften. Wer Profite will, senkt die Lohnkosten. Wie bei vielen Fusionen kommt es auch bei der SDA zu Entlassungen, weil Löhne im Vergleich zu anderen Ausgaben stark ins Gewicht fallen. Entlassungen erlauben es daher, den Besitzenden die Kostenstruktur kurzfristig zu frisieren, um den Verkaufswert der Firma im Hinblick auf die Fusion in die Höhe zu treiben. Auch die SDA bleibt von der Kälte der kapitalistischen Logik nicht verschont.
Bild: Inside sda/ats
Fusionspläne rütteln Personal auf
Insgesamt sind rund 70 Personen von der Restrukturierung betroffen, zumal nicht alle Journalist*innen Vollzeit arbeiten. Dies betrifft vorwiegend die jüngeren und die über sechzigjährigen Mitarbeiter*innen. Da es sich um eine Massenentlassung handelt, ist die SDA gesetzlich verpflichtet, den Angestellten die Möglichkeit zu geben, Vorschläge zu machen, wie die Entlassungen verhindert werden könnten. Bereits nach zehn Tagen war jedoch klar, dass die Direktion auf keine der vorgeschlagenen Massnahmen eintreten will.
Angesichts des Tempos und der arroganten Haltung der Geschäftsleitung trat das Personal am 23. Januar 2018 in einen dreistündigen Warnstreik, um gleichzeitig eine Personalversammlung durchzuführen. Die Streikenden zogen von ihren Redaktionsräumlichkeiten in Bern einige hundert Meter zu ihrem Sitzungssaal. Im Vergleich zu den Demonstrationen, die in den folgenden Tagen folgen sollten, handelte es sich dabei um einen eher scheuen Protestmarsch. Aber trotzdem: dass sich die SDA-Angestellten in dieser Situation die Strasse genommen haben, weist auf ihren Willen zum Widerstand hin, der sich auch in der Resolution wiederfindet, die auf der Personalversammlung verabschiedet wurde: „Mit dem Streik hat die Redaktion mit noch nie gesehener Stärke gezeigt, wie entschlossen sie ist. Einerseits bedeuten die beschlossenen Massnahmen für viele Mitarbeitende empfindliche Einschnitte, die ihre berufliche Existenz betreffen. Andererseits identifizieren sich die Mitarbeitenden stark mit der SDA und wollen ihr künftiges Fortbestehen sicherstellen.“
Unter anderem fordern die Streikenden in ihrer Resolution psychologischen Beistand für Mitarbeitende, die wegen den Kündigungen gegen psychische Krisen kämpfen, einen Marschhalt im Restrukturierungsprozess, die Ausarbeitung einer journalistischen und publizistischen Strategie, eine finanzielle Beteiligung der Aktionär*innen, um das Defizit zu decken, die Entmachtung des CEOs, der über keinen journalistischen Hintergrund verfügt sowie einen guten Sozialplan für allfällige Entlassene.
Bild: Inside sda/ats
Die Dynamik des Streiks
Trotz des Warnstreiks setzte die Direktion ihre harte Linie fort. „Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig“, liess sich CEO Markus Schwab in der NZZ am Sonntag zitieren. Die SDA habe keine Verpflichtung für einen Service Public. Sie habe das Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Entsprechend ging CEO Schwab in seiner Antwort auf die Personalresolution auch kaum auf die Forderungen ein. Angesichts der Angriffe und empört über die Arroganz ihrer Direktion, beschlossen die SDA-Mitarbeitenden am Dienstag 30. Januar 2018 in einen unbefristeten Streik zu treten. Die „Rechtmässigkeit“ des Streiks wurde von der Direktion offenbar nicht infrage gestellt.1
Mit Ausnahme des Kaders und einem kleinen Teil der Sportredaktion beteiligen sich alle Mitarbeitenden am Streik. Am Morgen versammelten sich die Streikenden im Saal des «Theater National» um sich zu organisieren. Die Redaktionskommission (ReKo) schlug einen Tagesablauf vor, die Gewerkschaften erklärten, dass Mitglieder ein Streikgeld von 150 bis 200 Franken pro Tag erhalten und Politiker*innen der Grünen und SP betonten, dass der Streik moralisch richtig sei. Gegen Mittag startete eine Demonstration zum Bundeshaus. Tags darauf fuhren die Streikenden nach Zürich, um vor dem Hauptsitz der Tamedia zu demonstrieren. Dort schlossen sich auch Tamedia-Journalist*innen der Kundgebung an. Auch am dritten Tag fand eine Demo statt, diesmal in Lausanne vor dem RTS-Gebäude. Es war deutlich zu spüren, dass das Personal mit jeder Demo erprobter war. Die Streikenden nahmen sich mehr Raum, wirkten entschlossener und waren lauter. Eine wichtige Rolle spielten auch solidarische Journalist*innen anderer Medien, die an den Demos jeweils ihre Solidarität und auch ihre Bewunderung äusserten und den Handlungsspielraum für eine wohlwollende Berichterstattung in ihren Medien nutzen.
Bild: Inside sda/ats
Streiksistierung nach langem Plenum
Am 1. Februar kam es erstmals zu einem Gespräch. Der Verwaltungsrat wollte sich allerdings nur mit einer maximal vierköpfigen Delegation und unter Ausschluss der Gewerkschaften treffen. Die Streikenden akzeptierten diese Auflage unter der Bedingung, dass es um einen informellen Austausch handle und nicht um Verhandlungen, an welchen substantielle Entscheidungen getroffen würden. Im Gespräch zeigte es sich, dass die Direktion dank des Streiks nun bereit war, die Restrukturierung temporär zu stoppen, um mit dem Personal und den Gewerkschaften Verhandlungen über ihre Forderungen zu führen.
Die Personalversammlung am Tag darauf, in der über die Sistierung des Streiks entschieden werden musste, wird den meisten Beteiligten in Erinnerung bleiben. Reicht das Angebot der Direktion aus, um den Streik zu beenden? Was erreichen wir, falls wir weiterstreiken? Was passiert, falls wir den Streik beenden? Schaffen wir es, uns nochmals zusammenzuraufen, falls bei den Verhandlungen nicht das Gewünschte rauskommt? Werden wir alle nochmals mitziehen? Die über 150 Streikenden diskutierten von 10 bis 15 Uhr. Zum Schluss entschieden sie im Rahmen einer anonymen Abstimmung, den Streik während der Verhandlungen zu sistieren.
Kämpferische Stimmung an den Personalversammlungen. Bild: Inside sda/ats
Ende der Passivität Deutschschweizer Medienschaffender?
In der Schweiz wehren sich Journalist*innen kaum gegen die Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen. Kämpferische Ausnahmen finden sich am ehesten in der Westschweiz. Im Jahr 2017 gingen Journalist*innen der Zeitungen Le Matin und Tribune de Genève auf die Strasse. Der Medienkonzern Tamedia, dem die beiden Zeitungen gehören, hatte entschlossen, die Redaktionen zusammenzulegen und einen Teil des Personals auf die Strasse zu stellen. Die Proteste konnten die Entlassungen nicht verhindern, sondern führten zu einem Sozialplan, was viele – angesichts der Kräfteverhältnisse – bereits als Erfolg werteten.
Während in der Westschweiz noch ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) besteht, weigert sich in der Deutschschweiz der Verlegerverband „Schweizer Medien“ seit Jahren, einen solchen zu unterschreiben. Zwar laufen derzeit GAV-Verhandlungen, doch diese kommen nur schleppend voran.
Um die Personalkosten zu senken, profitieren die Medienhäuser vom tiefen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in der Branche sowie von der schwachen Solidarität zwischen den Journalist*innen. Diese verstehen sich leider allzu oft als individualisierte Wissensproduzent*innen, die sich gegen konkurrierende Kolleg*innen durchsetzen müssen, um in der Branche zu überleben. Es ist zu hoffen, dass der Kampf bei der SDA ein Schritt in eine andere Richtung ist und Schule machen wird.
- Als rechtmässig gilt ein Streik in der Schweiz nur dann, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: Erstens gilt er nur als verhältnismässig, wenn keine anderen Mittel und Massnahmen weiterhelfen. Zweitens muss eine tariffähige Gewerkschaft den Streik unterstützen. Drittens darf es sich nicht um einen politischen Streik handeln. Die Forderungen müssen sich hauptsächlich an den bestreikten Betrieb richten oder in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) regeln lassen. Viertens darf ein Streik keine allfälligen Friedenspflichten (beispielsweise aufgrund eines GAV) verletzen. ↩
Bilder: Inside sda/ats