Kurz nach dem Ausbruch der Pandemie in der Schweiz stellten einige aktive Arbeiter*innen aus verschiedenen Städten das «Solifon» auf die Beine – eine Art Hotline, an die sich Lohnabhängige mit Job-, Vermieter- oder Ämter-Stress wenden können. Dabei geht es dem Kollektiv vor allem um Arbeiter*innen-Selbsthilfe, aber nicht nur. So sagte das Solifon im Mai gegenüber ajour: «Wenn die radikale Linke wieder ernsthaft in Klassenkämpfe intervenieren will, führt nichts an den Auseinandersetzungen in der proletarischen Realität mit Chefs und Vermieter*innen vorbei.» Heute, ein Vierteljahr später, wollen wir vom Solifon wissen, wie’s so läuft. Anton ist Red und Antwort gestanden.
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Anton, wie viele Konflikte hat das Solifon seit seiner Gründung Ende März schon durchgefochten?
Wir erhielten unzählige Anrufe und konnten in rund sechzig Fällen zusammen mit den Betroffenen etwas unternehmen.
Mit Erfolg?
Nicht immer. Aber in vielen Fällen konnten wir für die Anrufenden etwas herausholen. In fünf Fällen waren wir besonders erfolgreich: zusammen mit den Anrufenden erkämpften wir Geld und verhinderten repressive Massnahmen.
Wieviel Geld?
Insgesamt rund 30’000 Franken. Zudem kippten wir 31 Einstelltage von Taggeldern, die das RAV den Leuten aufgebrummt hatte. Es gab auch erfolgreiche Interventionen bei Arbeitslosenkassen.
Allesamt individuelle Fälle also?
Nein, ein Anruf nahm eine kollektive Dimension an. Am Ende setzte die Belegschaft zusammen ihren Anspruch auf Kurzarbeit und Kurzarbeitsentschädigungen durch.
Wer waren eure Gegner*innen?
Bisher vor allem Betriebe aus der Gastronomie, der Reinigung und der Event-Branche. Aber auch Ämter und Arbeitslosenkassen.
Und wie habt ihr die bekämpft?
Wir haben das «Schwert des Rechts» verwendet. Das Arbeitsrecht ist aus Proletensicht beschissen, aber es gibt trotzdem Spielraum. Viele Leute kennen diesen einfach nicht. Wir haben die Leute dabei unterstützt, diese Möglichkeiten wahrzunehmen. Dort ist der grosse Stutz reingekommen. Wir haben viele böse Briefe geschrieben und mit einigen Anwält*innen und HR-Personen gestritten. In einem Fall sind wir bis vor den Friedensrichter gegangen. Weitere werden wohl folgen.
Und wie lautete das Erfolgsrezept?
Wir sind ein starkes rund dreissigköpfiges Kollektiv, dass ganz klar Partei ergreift für die Proletarisierten. Viele Abwägungen, die der Rechtsdienst einer Gewerkschaft macht, fallen bei uns weg. Die Anrufenden müssen nicht Mitglied sein und wir müssen uns nicht überlegen, ob sich so ein Fall für uns lohnt. Unsere Unterstützung ist an keine Kostenfragen gebunden, da sie gratis ist. Die Bedürfnisse und Forderungen der Proletarisierten stehen im Zentrum. Natürlich sind auch wir keine Zauberer, gewisse Dinge sind unter den vorherrschenden Zuständen auf dem Rechtsweg schlicht nicht erreichbar. Die Rücknahme einer Kündigung zum Beispiel. An diesen Punkten muss der Konflikt eine kollektive Dimension annehmen, will er erfolgreich sein. Etwa so, wie das die feministische Bewegung in Basel gemacht hat, als eine Kunstmuseumsmitarbeiterin wegen ihrer Teilnahme am Frauenstreik gefeuert worden war. Und wegen des kollektiven Drucks wieder eingestellt werden musste.
Hand aufs Herz, wer zieht bei euch die Fäden im Hintergrund?
Am Solifon sind rund dreissig Genoss*innen und vier Kollektive und Basisgruppen beteiligt: das Gastra Kollektiv, die Freie Arbeiter*innen Union (FAU) Bern, die Industrial Workers of the World – Sektion Jura-Alpen-Mittelland (IWW JAM) sowie das solidarische Netzwerk Solnet aus Zürich. Aber auch Leute, die keiner dieser Gruppen angehören, sind Teil des Solifons. Wir sind eine offene Struktur. Wer gerne beim Solifon mitmachen will, ist bei uns herzlich willkommen!
Anm. d. Red.:
Das Solifon ist unter der Nummer 076 620 95 74 erreichbar und zwar immer montags von 18 – 20 Uhr, dienstags von 10 – 12 Uhr und samstags von 13 – 15 Uhr.
In Basel betreibt die Gruppe Kleinbasel Solidarisch ein zweites Solifon. Dieses ist unter der Nummer 077 937 49 24 erreichbar.
Titelbild: Garry Knight, Phone Call by a Wall.