Die pandemische Ausbreitung des neuen Coronavirus, offiziell Sars-CoV-2 getauft, beherrscht die öffentliche Debatte. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat Ende Februar Veranstaltungen ab 1000 Teilnehmern verboten. Mitte März hat der Bundesrat dann die Auflagen nochmals deutlich verschärft. Unter den ersten Betroffenen finden sich die Arbeitenden der Event- und Messebaubranche. Die Stagehands und Freelancer*innen sind auf Auftragsbasis angestellt und haben keinen Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Sie spüren die Entscheidung des BAG unmittelbar und geraten teilweise in arge finanzielle Nöte.
Nun haben sich einige Betroffene in der Gruppe «Veranstaltungsschaffende United!» zusammengeschlossen. Ajour hat mit ihnen gesprochen.
Hallo zusammen, stellt euch doch kurz vor.
Wir sind ein Zusammenschluss aus Stagehands, Freelancer*innen und selbstständigen Techniker*innen, die mit Konzerten, auf Theaterbühnen, Konferenzen und auch Messen ihr Geld verdient haben. Durch das Veranstaltungsverbot sind wir aufgeschreckt worden und in diesem Rahmen zusammengekommen.
Wie sehen denn eure Anstellungen in der Veranstaltungsbranche überhaupt aus?
Der lokale Veranstalter bekommt vom Künstler*innen-Management den Auftrag, eine gewisse Anzahl Helfer*innen lokal zu stellen. Gewisse dieser Arbeiten macht er in einem Outsourcing an lokale Firmen. Dies können sowohl Technikfirmen, wie auch Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Tageskräfte zu vermitteln, sein. Besagte Technikfirmen suchen sich bei Bedarf auch direkt eigene Freelancer*innen. Dann gibt es Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, auf einen bestimmten Tag bis zu 150 Tageskräfte zu stellen. Im Moment arbeiten die meisten von uns bei solchen Personalvermittlungen. Grundsätzlich ist die gesamte Branche betroffen und in ihrer Existenz bedroht.
Habt ihr einen Status als Selbständige?
Manche sind selbstständig, die meisten in unserer Gruppe allerdings nicht. Die Branche bietet die Möglichkeit, über längeren Zeitraum auch als unselbstständiger Freelancer bei einer einzelnen Firma zu arbeiten. Arbeitet man hauptberuflich als Stagehand, ist es zeitweise schwer, über die Runden zu kommen, weil man das niedrigste Salär hat. Die meisten von uns arbeiten dadurch bei mehreren Firmen. Dies trifft auch für viele Techniker*innen zu.
Ihr schreibt, dass ihr nicht gegen die Bestimmungen des BAG seid, sondern gegen die Tatsache, dass ihr dabei leer ausgeht. Und ihr wollt eine Entschädigung. Was sind eure konkreten Forderungen im Moment?
Richtig. Die erfolgten Massnahmen gegen das Virus nehmen wir so hin, aber wir wollen die durch die aktuelle Situation entstandenen Lohnausfälle kompensiert haben, denn viele von uns arbeiten schon viele Jahre auf diesem Beruf und können nicht so einfach irgendwo anders arbeiten gehen.
An wen richtet ihr euch vor allem? An die Auftraggeber oder an den Staat?
Wir richten uns in erster Linie an den Staat, vor allem an die Kurzarbeitsentschädigung (Deckung des Verdienstausfalls zu 80% durch die Arbeitslosenkassen, Anm. d. Red.). Viele Firmen drohen, selber Konkurs zu gehen und sind auf staatliche Hilfe ebenso angewiesen. Vor allem kleine Firmen würden bei einer Lohnfortzahlung sofort kollabieren.
Auf eurer Webpräsenz verweist ihr auch auf Massnahmen und Verlautbarungen der Veranstalter-Firmen. Gibt es da eine Zusammenarbeit zwischen den Arbeitenden und den Unternehmern? Oder versucht ihr eure Interessen auch gegen diese zum Ausdruck zu bringen?
Wir sind im Austausch mit unseren Arbeitgebern, denn sie haben Kurzarbeit gefordert. Dem schliessen wir uns an. Grundsätzlich sind wir aber wie seit jeher auf uns alleine gestellt, weil wir durch unser Anstellungsverhältnis von allen Absicherungen weitgehend ausgeschlossen sind.
Habt ihr schon konkrete Pläne für Kampfmassnahmen? Wie sehen diese aus? Und wen wollt ihr damit unter Druck setzen?
Im Moment ist es für uns wichtig, möglichst viele Betroffene der Branche zu erreichen und zu sammeln. Dazu haben wir eine Facebook-Gruppe eröffnet. Daneben verfolgen wir intensiv das aktuelle Geschehen und versuchen Hilfestellung für Leute zu leisten, die auf die Sozialämter müssen. Auf die Dauer wollen wir die Anstellungsverhältnisse dahingehend verändern, dass solche Einbrüche nicht mehr passieren. Wir befinden uns an der Ausarbeitung klarer und berechtigter Forderungen.
Werdet ihr von linken Gruppen und Zusammenhängen unterstützt? Wie sieht diese Unterstützung aus? Oder wie kann man sich mit euch solidarisch zeigen?
Politisch gesehen sind wir unabhängig und versuchen Aufmerksamkeit zu generieren, unser Anliegen zu verbreiten und die Politik dazu zu bringen, uns zu unterstützen. Wir versuchen zu verhindern, dass wir vereinnahmt werden. Bisher ist es zu keiner Zusammenarbeit mit einer anderen politischen Gruppe gekommen.
Ihr arbeitet alle auf Auftragsbasis und habt mit dem BAG-Entscheid schlagartig euer Einkommen verloren. Wie überbrückt ihr erst mal kurzfristiger den Lohnausfall? Gibt’s Leute, die sich verschulden müssen?
Wir sind der Meinung, dass wir ganz klar Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben. Wir finden aber, dass diese Kassen nicht die Lösung für unser Problem sein sollten. Auch die bisherigen Konflikte mit den Ämtern zeigen, dass sie das ähnlich sehen könnten, da schon manche*r sprichwörtlich abgewimmelt wurde, auch mit Sachbearbeiter*innen, welche selber mit einer unklaren Lage konfrontiert sind. Diese Sachlage muss sich klären.
Bis zum 20. März soll anscheinend geklärt sein, wer auf welche Weise in den Genuss des 10 Milliarden Franken schweren Stützungsfonds des Bundes kommen soll. Das ist reichlich spät. Bis dahin brauchen viele von uns noch ihre Februarlöhne auf und hoffen auf eine Kurzarbeitsentschädigung. Noch unklarer ist die Lage für die ganzen Selbstständigen, denen ohne Stützung nur der Gang zum Sozialamt bleibt. Auch vielen Firmen droht der Konkurs.
Sicherlich werden viele zum Überbrücken der Situation auf finanzielle Hilfen von Freunden und Familie angewiesen sein. Ist dies nicht möglich, wird es wohl schwer sein, mit den fehlenden Sicherheiten einen Kredit zu bekommen.
Ihr schreibt, dass man in eurer Branche sehr unsicher lebt und unablässig für seine Rechte einstehen müsse. Was sind denn die Hauptprobleme für die Arbeiter*innen in der Branche? Nutzt ihr nun die aktuelle Situation, um zu versuchen, in die Offensive zu kommen?
Die Branche ist sehr unreglementiert und es gibt keine spezifischen Absicherungen für uns. Für die Altersvorsorge müssen viele selber vorsorgen, wollen sie später nicht in der Altersarmut landen. Es gibt zwar Nischengewerkschaften, etwa für die Arbeiter*innen des Opernhauses, doch sind solche Fälle die Ausnahme. Grundsätzlich sind die Arbeiter*Innen von der Auftragslage abhängig und diese ändert sich monatlich, saisonal, jährlich. Die Löhne sind vor allem in den untersten Segmenten, bei den einfachen Helfer*innen, den Stagehands, sehr knapp. Um gut über die Runden zu kommen, ist man oft auf einen Mix aus verschiedenen Firmen mit verschiedenen Schwerpunkten angewiesen.
Dass diese Branche derart unreglementiert ist, ist vielen aber auch willkommen. So werden viele Jobs unter Freund*innen verteilt, Löhne werden oftmals mündlich vereinbart und man kann sich die Arbeit selber einteilen. Auch braucht man anfangs keine Qualifikation.
Gab es vor «Veranstaltungsschaffende United!» in eurer Branche schon Versuche, sich zu organisieren? Gibt es Pläne, dass ihr auch nach Ende der BAG-Massnahmen weiter zusammensitzt und dran bleibt?
Es gab einzelne Versuche bereits vorher, sie verblieben aber an der Oberfläche. Diese Gruppe ist ein Produkt jener Versuche. Das plötzliche Veranstaltungsverbot hat uns wieder zusammengebracht. Sollte uns allen in den nächsten Tagen eine angemessene Ausfallentschädigung zugestanden werden, so werden wir uns trotzdem weiter betätigen. Denn jetzt endlich haben wir auch die Zeit, uns den branchebedingten Missständen zu widmen.
Prognosen sind angesichts vieler unbekannter Variablen schwierig, das BAG rechnet aber mit einem Höhepunkt der Epidemie in der Schweiz erst in Wochen. Das heisst, dass man einen langen Atem mitbringen muss. Habt ihr für diese lange Perspektive kollektive Antworten? Oder planen einzelne auch wieder in andere Jobs zu wechseln?
Nein, wir wissen schlicht nicht, wie sich diese Geschichte entwickeln wird. Vielleicht leisten wir mit unserer Gruppe in zwei Monaten ja solidarische Nachbarschaftshilfe.
Bei den Helfer*innen war die Fluktuation schon immer gross, wahrscheinlich werden viele jetzt gerade durch die Ämter, wo viele auch schon vorher gemeldet waren, wieder in andere Sektoren gehen. Aber die Lage ist ja gerade nicht sehr rosig. Das Überangebot an geringqualifizierten (und trotzdem sehr fähigen) Arbeiter*Innen wird die Löhne weiter drücken, auch darum fordern wir umso stärker Kurzarbeit für die Betroffenen, um diese Konkurrenzsituation nicht noch weiter zu verschärfen.
Update d. Red.: Am 20.3.2020 verkündete der Bundesrat, der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung werde ausgeweitet. Neu haben z.B. auch temporär oder befristet Angestellte Anspruch, ebenso Lehrlinge.