Seit mehreren Wochen streiken migrantische Logistik-Arbeiter:innen der Basisgewerkschaft S.I. Cobas in der Toscana. Sie wehren sich gegen Lohndumping, unbezahlte Überstunden, mangelnde Sicherheit und 14-Stunden-Tage. Die Proteste haben sich auf drei weitere Städte ausgebreitet, obwohl die Bosse auf Konfrontation setzen. In der Schweiz wird jetzt für die Streikkasse der Arbeiter:innen von Mondo Convenienza gesammelt.
Die Gemeinde Campi Bisenzio in der Metropolitanregion von Florenz ist vor allem wegen der GKN-Fabrikbesetzung bekannt. Unweit davon steht das Lagerhaus von Mondo Convenienza. Das Unternehmen ist ein wichtige Player der Einrichtungs- und Möbel-Industrie, es übertrifft mit über einer Milliarde Euro Umsatz pro Jahr sogar den Giganten Ikea. Seit dem 30. Mai 2023 stehen Streikposten vor dem Eingang des Lagerhauses. Mehr als zwei Dutzend Fahrer:innen, Möbelträger:innen und Monteur:innen, die in der Basisgewerkschaft S.I. Cobas organisiert sind, kämpfen gegen sklavenähnliche Zustände. Die streikenden Arbeiter:innen stammen aus Tunesien, Pakistan, Rumänien und Moldawien. Sie essen, schlafen und protestieren seit mehreren Wochen vor den Toren des Lagerhauses und blockieren die Ausfahrt für die Lastwagen. Die Polizei hat die Streikposten mehrmals geräumt – Mitte Juni sogar während sieben Tagen am Stück. Dabei gab es immer wieder Verletzte. Doch die Arbeiter:innen bleiben hartnäckig und blockierten die Tore des Lagerhauses nach jeder Räumung von Neuem.
Prekäre Arbeitsverhältnisse
Die Arbeiter:innen, die bei Mondo Convenienza für den Transport und die Montage der Möbel zuständig sind, werden über die Werkvertragsfirma RL2-Logistica angestellt. Sie müssen lange Arbeitstage leisten. Ohne Ausrüstung und Sicherheitsmassnahmen müssen sie nicht nur Möbel transportieren, sondern sie auch in die Wohnungen hochtragen und montieren – Verletzungen sind vorprogrammiert. Der Arbeitstag beginnt um 7 Uhr morgens und Feierabend ist erst, wenn sie alle zugewiesenen Möbel transportiert und montiert haben – teilweise dauert das bis 22 Uhr. Sechs Tage die Woche, fixe Arbeitszeiten gibt es nicht. Die Arbeit wird pauschal vergütet, Ende Monat kommt man so auf gut 1000 Euro, umgerechnet entspricht das einem Stundenlohn von etwa 6.80 Euro.
Um die Löhne zu drücken, bedient sich die Werkvertragsfirma RL2-Logistica eines perfiden Tricks: Obwohl die Arbeit zum Bereich der Logistik gehört, haben die Arbeiter:innen von Mondo Convenienza einen sogenannten Multiservice-Tarifvertrag, der Beschäftigungsverhältnisse in den Bereichen Reinigung, Wartung und Vertrieb regelt und niedrigere Löhne vorsieht als der Logistik-Tarifvertrag. Die Arbeiter:innen fordern eine Anstellung unter dem Logistik-Tarifvertrag. Dadurch würden sie einerseits 300 Euro mehr im Monat verdienen und zusätzlich ihre Reisekosten vergütet bekommen. Zudem müssten sie nur 39 Stunden pro Woche arbeiten, Überstunden wären freiwillig und vergütungspflichtig. Die Streikenden wenden sich zudem gegen willkürliche Disziplinarmassnahmen (Lohnkürzungen um bis zu vierzig Prozent) und gegen die Kriminalisierung gewerkschaftlicher Aktivitäten. Die Proteste haben sich seit Ende Juni auf Rom und Bologna ausgeweitet und seit Anfang Juli wird auch vor dem Turiner Lagerhaus von Mondo Convenienza protestiert. Die Arbeiter:innen protestieren zudem vor und in den Einkaufsläden, sie halten Reden, hängen Transparente auf und verteilen Flyer an die Kund:innen.
Leiharbeit und Werkverträge: «La vostra forza è lo sfruttamento»
Durch Werkverträge kauft ein Unternehmen von einem Subunternehmen eine Arbeitsleistung, deren Preis niedriger ausfällt als der Einsatz von regulär angestellten Arbeiter:innen. Offiziell gelten Werkvertrags-Arbeiter:innen gar nicht als Arbeitskräfte, sondern als Sachkosten, sie sind darum von vielen für Arbeiternehmer:innen üblichen und gängigen grundlegenden Rechten ausgeschlossen. Im Zuge der Flexibilisierung der Arbeit und der Deregulierung des Arbeitsmarktes, die in den 1990er und 2000er Jahren durchgesetzt wurden, verbreiteten sich auch Leih- und Werkvertragsfirmen. Durch die Auslagerung von Arbeitsaufgaben an Subunternehmen und den damit verbundenen Einsatz von Werkvertragsarbeiter:innen wird das Arbeitsrecht so stark zurechtgebogen, dass internationales Outsourcing hinfällig wird. Versprach der fordistische Kapitalismus der Nachkriegszeit Vollbeschäftigung, sozialstaatliche Auffang-Massnahmen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – zumindest für weisse Facharbeiter:innen im Westen – so sind selbst solche Idealvorstellungen für den neoliberal deregulierte Arbeitsmarkt des modernen Kapitalismus passé. Seit Jahrzehnten sieht sich die Arbeiter:innenklasse zunehmend autoritären Angriffen seitens der Bosse auf die Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt. Das Vorgehen von Mondo Convenienza ist hierfür ein klassisches Beispiel: Von zweihundert Arbeiter:innen haben in Campi Bisenzio bloss sieben einen regulären Vertrag, alle anderen unterstehen Werkverträgen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Mondo Covenienza Abkommen mit Werkvertragsunternehmen abschliesst und dass diese alle in ihrer Macht stehenden Möglichkeiten ausnützen, um die Löhne zu drücken und jegliche Arbeitsrechte zu umgehen. Seit mindestens zehn Jahren – 2014 kam es zu den ersten Streiks bei Mondo Convenienza – ist das «System Mondo Convenienza» bekannt. In den Jahren 2016 und 2017 arbeitete das Unternehmen beispielsweise mit dem Werkvertragsunternehmen Bird Logistic zusammen, das im Auftrag von Mondo Convenienza Arbeiter:innen für ein Lagerhaus in Bologna anstellte – auch hier waren fast alle Arbeiter:innen Migrant:innen. Marilena Fabbri, damals Abgeordnete des Partito Democratico, hielt im Februar 2017 in einer Anfrage an den Minister für Arbeit und Entwicklung fest: «Nach Angaben der Gewerkschaften arbeiten die von diesem Konflikt betroffenen Arbeitnehmer etwa siebzig Stunden pro Woche, während der Vertrag 39 Stunden vorsieht. Sie arbeiten ohne Bezahlung von Überstunden und ohne Anerkennung von Urlaub und Feiertagen und ohne Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbedingungen für die Arbeitssicherheit.» Auch in den darauffolgenden Jahren gelangten immer wieder ähnliche Zustände an die Öffentlichkeit. Im Mai 2023 wurden Verfahren gegen Vertreter:innen von Mondo Convenienza Holding Spa eröffnet. Das Unternehmen bezeichnet alle Vorwürfe als «haltlose Anschuldigungen».
Die Gewalt des Staates und der Bosse
Dass sich migrantische Arbeiter:innen zur Wehr setzen und sich die Streiks und Proteste trotz Repression ausbreiten, ist nicht selbstverständlich. Verglichen mit früheren Arbeitskämpfen bei Mondo Convenienza scheinen die Arbeiter:innen diesmal entschlossener zu sein. Auch die Unterstützung von ausserhalb des Betriebs fällt diesmal grösser aus. Während die Polizei die Blockaden vor den Toren des Lagerhauses von Campi Bisenzio regelmässig räumt und auf die Streikenden und ihre Unterstützer:innen einprügelt, bedient sich das Unternehmen altbekannter Methoden: Einschüchterungen und Entlassungen. Die streikenden Arbeiter:innen erhielten zunächst eine Abmahnung, doch als sich die Proteste und Streiks auf andere Standorte ausbreitete, wurden sie Mitte Juli 2023 entlassen. Davon erfuhren sie jedoch erst durch eine Pressemitteilung. Laut der Basisgewerkschaft S.I. Cobas liegt ein strategisches Kalkül dahinter: Die Werkvertragsfirma RL2-Logistica will alle ihre Arbeiter:innen einschüchtern, auch diejenigen, die bisher nicht streiken. Um den Arbeitsprozess aufrechtzuerhalten, sendet die Werkvertragsfirma jeden Morgen Arbeiter:innen aus anderen Städten nach Campi Bisenzio, um die Möbel abzuholen und zu den Kund:innen zu bringen. Das führte bereits zu Konflikten, als Streikende und Vorgesetzte aneinandergerieten. Am 7. Juni 2023 wurde ein Arbeiter überfahren und verletzt. Die Gefahr, die von solchen Aktionen ausgeht, ruft böse Erinnerungen hervor: Im Jahr 2021 wurde Adil Belakhdim bei einem Streikposten vor einem Lidl-Lagerhaus in Biandrate von einem Streikbrecher überfahren und getötet.
Auch in Bologna kam es vor wenigen Tagen zu Gewalt: Streikende Arbeiter:innen wurden attackiert, eine Person erlitt dabei einen Armbruch, eine Halsverletzung und verlor einen Zahn, während andere leichtere Verletzungen davontrugen. Mondo Convenienza behauptet, der Angriff sei lediglich auf einen spontanen Konflikt zwischen Arbeiter:innen zurückzuführen. Die Basisgewerkschaft S.I. Cobas geht hingegen davon aus, dass der Angriff organisiert war. Es wäre nicht das erste Mal, dass bezahlte Schlägertrupps auf streikende Arbeiter:innen losgehen. Parallel zu diesen gewalttätigen Einschüchterungsversuchen versucht das Unternehmen indes den politischen Druck zu erhöhen. Chefs und Vorgesetzte sowie bezahlte Streikbrecher:innen aus anderen Städten Italiens protestierten Mitte Juli vor dem Rathaus von Campi Bisenzio und forderten ein härteres Vorgehen gegen die Streikenden. Die Gewalt des Staates und der Bosse scheint dem Unternehmen nicht zu genügen, darum greifen sie auch auf andere, bisweilen skurril anmutende Methoden zurück. Dabei geht es nicht nur darum, die Arbeiter:innen einzuschüchtern oder Druck auf die Politik auszuüben, sondern um das Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit zu verbessern: Während Arbeiter:innen sich einer systematischen Überausbeutung ausgesetzt sehen und dagegen streiken, stellt Mondo Convenienza Influencer an, um von den Protesten abzulenken und ihre Präsenz auf Social Media auszubauen.
Solidarität ist gefragt
Die ökonomische Situation ist in Italien in verschiedenen Branchen alles andere als rosig. Italien ist das einzige Land in Europa, in dem die Löhne laut OECD zwischen 1990 und 2020 um ganze 2,5 Prozent gesunken sind. Die prekären Arbeitsverhältnisse ziehen sich durch die gesamte Gesellschaft, die Anzahl der Working Poors ist in den letzten Jahren markant gestiegen. Laut einer Studie des Nationalen Instituts für Soziale Fürsorge INPS galten im Jahr 2019 ganze 16 Millionen Menschen als Working Poor. Mondo Convenienza ist natürlich nicht das einzige Unternehmen, das seine Arbeiter:innen dermassen ausbeutet und Arbeitsrechte umgeht. Vor allem im Logistiksektor sehen sich meistens migrantische Arbeiter:innen Niedriglöhnen und extremen Ausbeutungsbedingungen ausgesetzt. Es ist darum kein Zufall, dass die Basisgewerkschaft S.I. Cobas während der letzten Jahrzehnte bei Logistik-Arbeiter:innen auf solch eindrückliche Weise Fuss fassen konnte.
Momentan ist die Stimmung bei den Streikenden gut, sie werden von immer mehr Leuten unterstützt. Am 8. Juli 2023 gab es eine grosse Demo vor die Tore von Mondo Convenienza in Campi Bisenzio, darunter waren auch die Arbeiter:innen der besetzten GKN-Fabrik. Vieles deutet darauf hin, dass die Arbeiter:innen entschlossener und besser organisiert sind als noch während der Streiks vor einigen Jahren. Die Streikenden selbst schrieben am 8. Juli 2023 auf Social Media: «Diesmal wird es anders sein, […] denn diejenigen, die seit vierzig Tagen streiken, haben die Angst bereits hinter sich gelassen. Egal ob sie uns entlassen oder nicht, niemand wird die Tore der Via Gattinella hier in Campi Bisenzio verlassen. Der Kampf geht weiter, bis zum Sieg.»
Den Streik unterstützen!
In Italien kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Streiks von migrantischen Arbeiter:innen, was diesem Teil der Klasse immer mehr Selbstvertrauen verschafft. Streiken ist aber mit vielen Risiken verbunden, nicht nur im Hinblick auf physische Gewalt, sondern auch auf finanzieller Ebene – ohne Streikkasse ist es unmöglich, lange zu streiken. Unterstützen wir die Streikkasse der S.I. Cobas!