Den Wahlerfolgen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) stehen die bürgerlichen Kräfte seit zwei Jahrzehnten relativ machtlos gegenüber. Permanent wird das Stimmvolk durch Volksinitiativen der SVP an die Wahlurne mobilisiert. Menschenverachtende Hetze ist heute Alltag in den Vereinen und am Arbeitsplatz. Allzu leicht mag es als ein gangbarer Weg erscheinen, die Partei mit dem lautesten Gebaren für diesen Zustand verantwortlich zu machen. Wem es jedoch an einer Strategie für den Weg in eine befreite Gesellschaft gelegen ist, muss erkennen, dass die SVP als Partei momentan von einer autoritären Entwicklung profitiert, deren kaltes Herz die bürgerliche Gesellschaft selbst ist.
Diese Kälte ist kein Schweizer Sonderweg, sondern bestimmend für ganz Europa. Jeder Nationalstaat wird heute in der Konkurrenz der Staaten untereinander wie ein Unternehmen geführt. Es wird keine Gelegenheit ausgelassen, das Menschenmaterial auf den nationalen Standort einzuschwören. Zusehens ist nur noch erlaubt, was sich gegenüber den Anforderungen betriebswirtschaftlicher Effizienz auch rechtfertigen kann. Dieser Logik folgend ist effizient und damit daseinsberechtigt nur, wer seine Lebensenergie in Arbeitskraft investiert und damit als Arbeitskraftbehälter für das Kapital verwertbar ist.
Ziel der wettbewerbsorientierten Politik der Nation muss es sein, jeden Tag das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital neu herzustellen. Die Arbeiter*innen haben ein Interesse an sicheren Arbeitsplätzen und dass es gemütlich zugeht. Die Kapitalist*innen haben ein Interesse an der Ausbeutung der Arbeitskraft von Arbeiter*innen. Das Problem einer solchen Politik dabei ist, dass die bürgerlichen Wunschträume der Arbeiter*innen durch die Konkurrenz auf dem Markt untergraben werden.
Die Aufgabe der Politik im Nationalstaat ist schlicht, diesen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zu vermitteln. Diese Politik scheint möglich, weil das Kapital ohne Arbeit nicht leben kann, und umgekehrt die Arbeit nicht ohne das Kapital. Dieses gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis, also das soziale Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, ist das, was als Kapitalismus bezeichnet wird.
Die Ideologie, die die kapitalistische Politik des Nationalstaates vermittelt, heisst Nationalismus. Der Nationalismus ist eine Ideologie, weil der Staat mit der Nation eine Einheit voraussetzt, die in Wirklichkeit eine auf gegensätzliche Klasseninteressen gegründete Zwangsveranstaltung ist. Die ideologische Vermittlung beider Interessen besorgen die Volksparteien. In ihnen begegnen sich die zwei stofflichen Seiten des Kapitals, um die Nation gegen die Ansprüche der Welt „da draussen“ zu verteidigen.
Das Menschenmaterial wird deswegen auf die Nation eingeschworen, weil die Kapitalist*innen auf dem Weltmarkt selber der Konkurrenz unterliegen. Seit den 1970ger Jahren sind die Kapitalist*innen mit sinkenden Profitraten konfrontiert. Die einzige Stellschraube, um in der Konkurrenz heute noch zu punkten, ist die Senkung der Lohnkosten. Die Kapitalist*innen konkurrieren zunehmend durch Investitionen in neue arbeitssparende Technologien. Es gibt deswegen in der Tendenz für immer mehr Arbeiter*innen immer weniger Arbeit. Die Funktion der Volksparteien ist es, dafür zu sorgen, dass die immer knapper werdende „gute“ Arbeit im Laufrad der Weltökonomie dem nationalen Kollektiv selber vorbehalten bleibt.
Um sich selbst das Überleben zu sichern, wird das Stimmvolk darauf eingeschworen den Gürtel enger zu schnallen und sich mal so richtig für die Nation ins Zeug zu legen. Das Kapital profitiert von der nationalen Ideologie, weil durch die Intensivierung der Arbeit die Ausbeutungsrate immer weiter erhöht wird. So übersetzt sich die Konkurrenzsituation der Einzelkapitale in die Konkurrenz der durch den Staat in verschiedene Nationen gespaltenen Arbeiterklasse.
Innerhalb des Laufrads der Nation wird schlussendlich jede gegen jeden geworfen und muss sich beständig gegen die anderen behaupten. Dies alles, um im Wettkampf darum am besten angepasst zu sein weiter dem Verwertungsbedürfnis des Kapitals entsprechen zu können. Weil der Nationalismus eine Einheit von Kapital und Arbeit voraussetzt, in der jeder Arbeitskraftbehälter quasi organisch seinen Platz findet, werden individuelle Bedürfnisse und objektive Tendenzen, die diesem Verhältnis widersprechen, nicht eingestanden.
Die Gefahr, welche die Konkurrenz der anderen für das Überleben der Identität des Einzelnen bedeutet, wird deshalb paranoid auf Kollektive projiziert, die Abweichung von einer eigentlichen Harmonie symbolisieren. In der Regel wird die fiktive Einheit des nationalen Kollektivs wiederhergestellt, indem über Arbeitsmigranten hergezogen wird. Diese werden als Konkurrenten ausgemacht, die einfach nicht dazugehören.
Damit sich die nationalistisch Vergemeinschafteten bei der Arbeitshetze auch einmal als Sieger fühlen dürfen, setzen sich die Volksparteien dafür ein, dass die Privilegien der Eingeborenen geschützt werden. Dann kann man sich bei allem Verzicht immer noch nach unten vergleichen, und sich daran hochziehen, wie gut man es im Vergleich doch hat. In den paranoiden Kampagnen der SVP geht es gar nicht so sehr darum, Einwanderung per se zu begrenzen. Es geht darum sich selbst als Arbeiter*in Privilegien zu sichern, indem Migrant*innen deklassiert werden. Man verwirklicht sich selbst als Vorarbeiter*in im Dienst des Kapitals, und versucht sich so eine relativ gemütliche Vormachtstellung innerhalb der Produktion zu sichern. Den Drecksjob können ja andere machen.
Der ehemalige Nationalrat Hans Fehr (SVP) hat mit der Beschäftigung einer Illegalisierten und damit quasi unentgeltlichen Haushaltshilfe für alle Stimmbürger ein praktisches Beispiel für diese Politik geliefert.
Chauvinistische und protofaschistische Parteien sind gerade deswegen in Europa auf dem Vormarsch, weil sie die Funktion haben, das nationalistische Programm aller anderen gegen innere und äussere «Feinde» am konsequentesten durchzusetzen.