Von F. Montale. Folgende Zeilen liefern keine detaillierte Analyse des Reformpaketes 2020, sondern sind ein Aufruf an die revolutionären Kräfte, die vom sozialdemokratischen Sozialminister Alain Berset durchgeboxte Rentenreform 2020 nicht aus den Augen zu verlieren.
1. Gegen die Abwälzung gesellschaftlicher Konflikte auf die Frauen
Grundlegendes Element der Rentenreform 2020 ist die Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre. Diese Angleichung des Frauenrentenalters an das der Männer ist nur ein erster Schritt zu weiteren Rentenalter-Erhöhungen. Arbeitgeber- und Gewerbeverbände sprechen schon heute von einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren. Durch die nicht ausbezahlten Renten und die zusätzlichen Beitragszahlungen werden bei der AHV 1.3 Milliarden Franken eingespart. Um das in einem Jahr verlorene Geld wieder zu erhalten, müssen sich Frauen bis zum 84. Lebensjahr gedulden – also just bis zu ihrer durchschnittlichen Lebenserwartung.
Diese Rentenreform zeigt, dass gesellschaftliche Konflikte – hier der Verteilungskampf im Kontext der Austeritätspolitik – auf Kosten der Frauen ausgetragen werden. Sie müssen länger arbeiten, obwohl Frauen ab 50 Jahren eine überdurchschnittlich hohe Erwerbsquote aufweisen, bei einem Stellenverlust aber massive Schwierigkeiten haben, wieder in den Arbeitsmarkt zu gelangen. Ältere Frauen werden in einen Arbeitsmarkt gezwungen, der strukturell niemals alle Arbeitskräfte aufnehmen kann. Ein Kampf gegen die Rentenreform ist also ein Kampf gegen die Ausbeutung der Frauen!
2. Gegen die Senkung des indirekten Lohnes!
Weitere Elemente der Rentenreform 2020 sind:
- die Senkung des Mindestumwandlungssatzes der Pensionskassen von 6.8 auf 6.0%, was einer durchschnittlichen Rentensenkung der 2. Säule um 12% gleichkommt.
- die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1% bei Inkrafttreten der Reform und nochmals um 1% bei zusätzlicher Erfordernis.
- schliesslich die Einführung einer Schuldenbremse bei der AHV, sprich: wenn die Liquidität der Altersversicherung zurückgeht, sollen die AHV-Beiträge erhöht und die Renten nicht mehr den Lohn- und Preisentwicklungen angepasst werden (Abschaffung des Teuerungsausgleichs).
Diese sparpolitischen Massnahmen stellen einen massiven Angriff auf den indirekten Lohn der Arbeitenden dar, einerseits durch die direkte Senkung sozialstaatlicher Leistungen (die von unserem Lohn bezahlt werden!), andererseits durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die in erster Linie Menschen mit tiefen Einkommen belastet. Sich gegen die Rentenreform zu wehren, heisst also auch, unser Stück vom Kuchen zu verteidigen – auch wenn und gerade weil wir noch nicht so weit sind, uns die ganze Bäckerei anzueignen!
3. Nieder mit dem Arbeitsfrieden!
Die Tatsache, dass sich die Gewerkschaftsspitzen und prominente SP-Frauen wie Christiane Brunner und Ruth Dreifuss für die Rentenreform 2020 ausgesprochen haben, erschwert den Kampf gegen diese. Die Befürworter*innen argumentieren, dass in der AHV nach Jahrzehnten endlich ein Schritt nach vorne gemacht worden sei: Eine AHV-Rentenerhöhung von 70 Franken wurde in die Reform verpackt. Diese „Verbesserung“ steht jedoch in keinem Vergleich zu den massiven Verschlechterungen, welche die Reform mit sich bringen wird. Dieser Kompromiss ist Ausdruck der sozialpartnerschaftlichen und arbeitsfriedlichen Politik der Gewerkschaftsspitzen. Eine Politik, die sich täglich an den Arbeitsplätzen manifestiert, wenn es um Betriebsschliessungen und Entlassungen geht. Kaum je wird versucht, die ganze Produktion und somit die Existenzgrundlage der Arbeiter*innen zu verteidigen. Dafür werden Sozialpläne ausgehandelt, um die Entlassungen „sozialverträglich“ zu machen. Ein Kampf gegen die Rentenreform 2020 ist also auch ein Kampf gegen diese Logik des „kleineren Übels“!
Die Rentenreform 2020 ist heute innerhalb der Gewerkschaften, in den Medien und im Alltag das bestimmende sozialpolitische Thema. Die Reform betrifft alle Lohnabhängigen und beschäftigt viele unserer Arbeitskolleg*innen und Mitmenschen. Diese gesellschaftliche Diskussion ist zu nutzen, um grundsätzliche Fragen zu stellen und mögliche Perspektiven aufzuzeigen. Damit beschränken wir uns nicht bloss auf die Verteidigung des Bestehenden, sondern können unseren weitergehenden Positionen auch ausserhalb unseres üblichen Wirkungsfelds Gehör verschaffen.
„Fass meine Rente nicht an!“ Bild: solidaritéS